Arbeitsunfähigkeit und Ferienbezug

1. Juni 2010

Arbeitsunfähigkeit und Ferienbezug

Es kommt immer wieder vor, dass Arbeitnehmer während ihren Ferien erkranken oder einen Unfall erleiden und vom Arzt arbeitsunfähig geschrieben werden, oder dass Arbeitnehmer bereits zu Beginn schon bewilligter Ferien krankheits- oder unfallbedingt an der Arbeit verhindert sind, oder dass Arbeitnehmer bereits längere Zeit ganz oder teilweise arbeitsunfähig sind und der Arbeitgeber Ferien gewähren bzw. anordnen möchte. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, ob die Ferientage trotz gleichzeitiger Arbeitsunfähigkeit als Ferientage anzurechnen sind, oder ob dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Nachgewährung zusteht. Missverständlich und sehr bedauerlich ist diesbezüglich ein kürzlich gefälltes Urteil des Bundesgerichts (4A_631/2009 vom 17. Februar 2010), da es den Eindruck erweckt, dass jegliche Arbeitsunfähigkeit einen Ferienbezug ausschliesst, unabhängig davon, ob der Ferienzweck allenfalls trotzdem erreicht werden kann.

Zweck der Ferien / Ferienfähigkeit

Das schweizerische Arbeitsvertragsrecht definiert den Begriff Ferien nicht. Gemäss Lehre und Rechtsprechung handelt es sich um eine periodisch wiederkehrende, im Voraus bestimmte, in der Regel aufeinanderfolgende Anzahl von Tagen, die arbeitsfrei und bezahlt sind und der Erholung dienen. Die Erholung und Entspannung soll einerseits nützlich sein für die Gesundheit des Arbeitnehmers und andererseits die Arbeitskraft für den Arbeitgeber bewahren. 

Zu unterscheiden sind die Begriffe Arbeitsunfähigkeit und Ferienunfähigkeit, denn es gibt Fälle, in denen eine Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers nicht seiner Erholung und Entspannung entgegensteht. Gemäss Lehre muss die gesundheitliche Beeinträchtigung ein einigermassen erhebliches Ausmass hinsichtlich Intensität und Dauer angenommen haben, um überhaupt den Ferienzweck vereiteln zu können. Dies ist beispielsweise der Fall bei Bettlägerigkeit, Spitalaufenthalt, regelmässigen medizinischen Behandlungen oder häufigen Arztbesuchen über längere Zeit. Als zu wenig schwerwiegende Beeinträchtigungen gelten z.B. Kopf- und Zahnschmerzen, Magenverstimmung, Sonnenbrand, verstauchter Knöchel, gebrochener Finger oder gewöhnlicher Schnupfen. Betreffend Dauer wird allgemein angenommen, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung von nicht mehr als zwei bis drei aufeinanderfolgenden Tagen keine Nachgewährung der entsprechenden Ferienperiode rechtfertigt. Dabei gilt es jedoch sehr vorsichtig zu sein. Scheint bei einer Beeinträchtigung bis zu drei Tagen während zwei Wochen Ferien am Stück der Ferienzweck trotzdem erreichbar, ist dies während einer einzelnen Ferienwoche weniger offensichtlich und bei einer kürzeren Zeit unseres Erachtens nicht möglich. Die beiden Kriterien Intensität und Dauer sind also nicht gleichwertig: Die Intensität der gesundheitlichen Beeinträchtigung ist immer entscheidend, hingegen ist die Dauer von Fall zu Fall zu prüfen. Es ist in jedem Fall auf die konkreten Umstände abzustellen. Nicht massgebend ist, ob und wie weit der Arbeitnehmer arbeitsunfähig war. Zudem stellt sich die Frage, ob das subjektive Ziel, das sich ein Arbeitnehmer für seine Ferien gesetzt hat, zu berücksichtigen ist, wenn es zu beurteilen gilt, ob der Ferienzweck trotz Arbeitsunfähigkeit erreicht wurde. Wir sind der Meinung, dass das subjektive Ziel lediglich als Mittel zur Erreichung des allgemeinen Ziels betrachtet werden muss. Daher bedeutet die Tatsache, dass der Arbeitnehmer seine Ferien nicht wie ursprünglich vorgesehen gestalten kann, noch nicht, dass er nicht erholungsfähig ist und ihm die Ferien nachgewährt werden müssen. Diese Sichtweise rechtfertigt sich auch unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung. Es wäre tatsächlich nicht befriedigend, wenn beispielsweise zwei am Computer arbeitende Sekretärinnen, welche beide das Handgelenk verstaucht haben, hinsichtlich Ferienfähigkeit unterschiedlich behandelt würden mit der Begründung, dass die eine Ferien am Strand und die andere Kletterferien geplant hatte. Beide können sich trotzdem erholen und entspannen.

Teilweise Arbeitsunfähigkeit

Auch wenn der Arbeitnehmer nur teilweise krankheits- oder unfallbedingt an der Arbeit verhindert ist und der Arbeitgeber Ferien gewähren möchte oder schon bewilligte Ferien anstehen, gilt es abzuklären, ob der Arbeitnehmer trotzdem ferienfähig ist. Hat der Arbeitgeber Zweifel an der Ferienfähigkeit bzw. Ferienunfähigkeit, hat er vorgängig den behandelnden Arzt zu fragen. Wird die Ferienfähigkeit bejaht, sind für die Abwesenheitszeit in jedem Fall die ganzen Tage als bezogene Ferien anzurechnen. Entsprechend hat der Arbeitgeber für diese Ferientage den vollen Lohn zu bezahlen, und zudem hat er gegebenenfalls die Erwerbsausfallversicherung über den Ferienbezug des Arbeitnehmers zu informieren. Wird die Ferienfähigkeit verneint, können Ferien weder gewährt noch angeordnet werden.  

Missverständliches Urteil des Bundesgerichts

Eine Coiffeuse war wegen Schmerzen im Handgelenk vom Arzt arbeitsunfähig geschrieben. Während dieser Zeit war sie eine Woche für eine „voyage d’agrément“ in Mexiko. Der Arbeitgeber hatte lediglich ihre Arbeitsunfähigkeit bestritten und entsprechend Ferientage angerechnet. Die Arbeitnehmerin klagte in der Folge gegen den Arbeitgeber auf Bezahlung nicht bezogener Ferientage. Dem Arbeitgeber gelang es nicht zu beweisen, dass die Arbeitnehmerin arbeitsfähig war. Somit konnte das Bundesgericht aus prozessrechtlichen Gründen nur die Arbeitsunfähigkeit bestätigen und den Arbeitgeber verurteilen, der Arbeitnehmerin eine Entschädigung für eine Ferienwoche zu bezahlen. Denn das Bundesgericht hält sich gewöhnlich an die von der Beschwerdegegnerin in der Begründung der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen. Daher hätte das Urteil also anders lauten können, insbesondere wenn der Arbeitgeber in seiner Begründung geltend gemacht hätte, dass der Ferienzweck trotz Arbeitsunfähigkeit hätte erreicht werden können.

Kommentar

Dieses Urteil des Bundesgerichts ist entsprechend zu relativieren. Es ist nach wie vor davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer, der eine Nachgewährung von Ferien geltend macht, seine Ferienunfähigkeit beweisen muss. Die Einreichung eines Arbeitsunfähigkeitszeugnisses genügt dazu nicht, der Arbeitgeber kann eine Ferienunfähigkeitsbestätigung verlangen. Eine entsprechende vertragliche Regelung kann sinnvoll sein.

Schliesslich ergänzend noch folgender Hinweis: Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig und trotzdem ferienfähig, kann die entsprechende Zeit nicht für eine allfällige Ferienkürzung angerechnet werden, hingegen erfolgt eine Anrechnung an die Kündigungssperrfrist gemäss OR 336c.

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