Missbräuchliche Kündigung / Treuepflicht

1. März 2001

Missbräuchliche Kündigung / Treuepflicht

In Zusammenhang mit einem Entscheid, der die missbräuchliche Kündigung zum Gegenstand hatte, sprach sich das Bundesgericht letzthin auch über die Treuepflicht aus (Entscheid 4C.277/2000 vom 19. Dezember 2000). Für Kadermitglieder gilt nach dem Bundesgerichtsentscheid eine erhöhte Treuepflicht.

Sachverhalt

Ein Altersheim engagierte auf den 1. August 1998 eine neue Leiterin Gesundheitsdienst. Mit Datum vom 1. November 1998 nahm im gleichen Altersheim auch eine neue Direktorin ihre Arbeit auf.

Bereits anlässlich einer Sitzung vom 2. November 1998 beklagte sich die Leiterin über den Führungsstil der neuen Direktorin. Die Direktorin war aufgefordert worden, mit der Leiterin das Gespräch zu suchen. Diese beharrte jedoch auf ihrer Position und eröffnete der Direktorin, dass sie gedenke, eine neue Stelle anzutreten.

Zudem teilte die Leiterin Mitte November ihren Missmut über die Wahl der neuen Direktorin auch dem ihr unterstellten Personal mit. Falls nichts geändert werde, verlasse sie das Altersheim, sobald sie eine neue Anstellung gefunden habe, liess sie ihre Untergebenen wissen.

Am 30. November 1998 wurde der Leiterin von der Heimleitung auf den 31. Dezember 1998 die Kündigung eröffnet. Auf schriftlichen Einspruch hin begründete die Heimleitung ihre Kündigung mit ihrer misstrauischen, ja feindlichen Art gegenüber der Leitung sowie der neuen Direktorin. So schaffe sie ein schlechtes Arbeitsklima und führe das Pflegeteam in einen Loyalitätskonflikt.

Die Leiterin erachtete die Kündigung als missbräuchlich und klagte vor Gericht. Zwei kantonale Gerichtsinstanzen schützten diese Ansicht und sprachen der Leiterin eine Entschädigung von Fr. 7‘500.– wegen missbräuchlich erfolgter Kündigung zu.

Rechtliches

Vorerst erinnert das Bundesgericht daran, dass die Schweiz aufgrund von OR 335 I OR bei Verträgen auf unbestimmte Dauer den Grundsatz der voraussetzungslosen Kündigung kenne (Kündigungsfreiheit).

Somit kann jede Vertragspartei durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung den Vertrag auf einen bestimmten Termin hin beenden. Wer kündigen will, braucht dafür keine besonders schützenswerte Gründe zu besitzen.

Beschränkt werde dieses Recht nur durch die Bestimmungen über die missbräuchliche Kündigung (OR 336 ff), führt das Bundesgericht fort, weil darin Gründe genannt würden, derentwegen eine Kündigung nicht ausgesprochen werden dürfe.

Missbräuchlich ist eine Kündigung somit nur, wenn sie aus bestimmten unzulässigen, in OR 336 umschriebenen, Gründen ausgesprochen wird. Die Aufzählung der Missbrauchstatbestände in OR 336 ist allerdings nicht abschliessend (BGE 125 III 72). Vielmehr ist die dort enthaltene Aufzählung eine Konkretisierung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbotes und gestaltet dieses mit für den Arbeitsvertrag geeigneten Rechtsfolgen aus. So hat die Rechtsprechung etwa im Zusammenhang mit Änderungskündigungen erwogen, Missbrauch könne vorliegen, wenn eine unbillige Änderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden soll, für die weder marktbedingte noch betriebliche Gründe bestehen, und die Kündigung als Druckmittel verwendet wird, um die Arbeitnehmerin zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen (BGE 123 III 246 E. 3b S. 250 f.). Andererseits begründet sogenanntes Mobbing an sich nicht ohne weiteres einen Missbrauch des Kündigungsrechts (BGE 125 III 72).

Die Leiterin sah die Kündigung als missbräuchlich an, weil sie wegen einer Eigenschaft, die ihr kraft ihrer Persönlichkeit zustehe, ausgesprochen worden sei und berief sich auf OR 336 I lit. a. Diese Bestimmung schütze vor diskriminierenden Kündigungen, welche beispielsweise einzig an die Rasse, Nationalität, Alter, Homosexualität, Vorstrafen, Krankheiten oder eine HIV-Infektion anknüpfen würden, konkretisierte das Bundesgericht.

Damit eine Kündigung im Sinne von OR 336 I lit. a missbräuchlich ist, braucht es Folgendes: Erstens muss sich die Kündigung auf ein Motiv stützen, welches in der Persönlichkeit des Kündigungsempfängers seinen Grund findet. Zweitens muss dieses Motiv in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen oder die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigen. Mit anderen Worten: Eine Kündigung wegen persönlichen Eigenschaften ist nur dann missbräuchlich, wenn sie nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht. Zudem rechtfertigen persönliche Eigenschaften eine Kündigung auch, wenn sie die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigen. Indessen kann

die Störung des Betriebsklimas eine Kündigung wegen persönlichen Eigenschaften nur rechtfertigen, wenn der Arbeitgeber vorher zumutbare Massnahmen ergriffen hat, um die Lage zu entspannen.

Die in der Lehre kontroverse Frage, ob zu den von OR 336 I lit. a erfassten Eigenschaften auch individuelle Charakterzüge und Verhaltensmuster zu rechnen seien, liess das Bundesgericht leider ein weiteres Mal offen.

Aufgrund der konkreten Umstände erachtete das Bundesgericht die ausgesprochene Kündigung wegen persönlicher Eigenschaften als nicht missbräuchlich, weil sie im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stand. Ein derartiger Zusammenhang sei vor allem dann gegeben, wenn solche Eigenschaften die Arbeits-, Sorgfalts- und Treuepflicht des Arbeitnehmers berühren. Nach Ansicht des Bundesgerichtes hatte die Leiterin mit ihrem Verhalten die Treuepflicht verletzt.

Das Bundesgericht erwähnt diesbezüglich, dass das Gesetz jeden Arbeitnehmer verpflichte, die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren (OR 321a I).

Ein auf Dauer angelegtes Arbeitsverhältnis beruhe normalerweise auf einem besonders grossen Vertrauen, zumal der Angestellte eine führende Stellung innehabe. Für leitende Angestellte gelte deshalb eine erhöhte Treuepflicht, führt das Bundesgericht aus.

 Beispielsweise wurde vom Bundesgericht bereits entschieden, dass ein für zwei Jahre fest angestelltes Kadermitglied eine Treuepflichtverletzung begehe, wenn es sich kurz nach Beginn auf ein Inserat für eine freie Stelle melde, welche für sofort oder nach Übereinkunft zu besetzen sei (BGE 117 II 562).

Da das gegenseitige Vertrauensverhältnis die Grundlage jeden Arbeitsvertrages sei, könnten Verletzungen oder gar Verlust desselben, vor allem durch Treulosigkeit des Arbeitnehmers, bis zur fristlosen Auflösung des Arbeitsvertrages führen (BGE 116 II 145 E. 6a S. 150).

Wer als Kadermitglied die Spannungen und Meinungsverschiedenheiten mit der Direktion seinen Untergebenen kundtue, verletze die Treuepflicht. Durch seine Stellung und Funktion sei ja ein Kadermitglied der Belegschaft gegenüber die Vertretung des Arbeitgebers. Auch sei das notwendige Vertrauen in das Arbeitsverhältnis zerstört, wenn nach wenigen Monaten Arbeitsdauer eröffnet werde, man wolle nicht mit der neuen Direktorin zusammenarbeiten und auf dieser Position beharre, obwohl die Direktorin von Seiten des Arbeitgebers zu einem vermittelnden Gespräch Hand bot, und sogar mitteile, man wolle die Arbeitsstelle verlassen.

Die aufgrund der Kaderfunktion der Leiterin erhöhte Treuepflicht war demzufolge durch diese verletzt worden. Die persönlichen Eigenschaften berührten somit das Arbeitsverhältnis, weil der Zusammenhang über die Verletzung der Treuepflicht hergestellt war. Nach dem Bundesgericht bestand deshalb keine Missbräuchlichkeit der Kündigung im Sinne von OR 336 I lit. a.

 

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