Arbeitsunfähigkeitszeugnis

2. November 2009

Arbeitsunfähigkeitszeugnis

Zu den Schwierigkeiten, mit denen sich Arbeitgeber regelmässig zu beschäftigen haben, gehören ganz bestimmt Arbeitsunfähigkeiten von Arbeitnehmern infolge von Krankheit oder Unfall und den damit verbundenen organisatorischen und rechtlichen (Lohnfortzahlung, Kündigungsschutz) Auswirkungen. Dabei kommt dem Arztzeugnis, welches eine unverschuldete Arbeitsverhinderung attestiert, eine zentrale Bedeutung zu. Die vorliegende Ausgabe beantwortet Fragen, die sich Arbeitgeber zu diesem Thema häufig stellen.

Beweis der Arbeitsunfähigkeit

Auf Grund der Treuepflicht (OR 321a/1) hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rasch, fortlaufend und vollständig über den Bestand, den Grad und die voraussichtliche Dauer einer Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Zudem muss der Arbeitnehmer gestützt auf die allgemeinen Beweisregeln (ZGB 8) beweisen, dass er unverschuldet an der Arbeitsleistung verhindert ist. Dies gilt grundsätzlich vom ersten Tag an, denn das Gesetz enthält keine Bestimmung, wonach der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit für kurze Abwesenheiten nicht zu beweisen hat. Doch es besteht eine Übung, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit erst nach dem dritten Tag mit einem Arztzeugnis belegen muss. Das bewirkt für die ersten drei Tage eine Umkehr der Beweislast, das heisst der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber lediglich sofort mitzuteilen, dass er arbeitsunfähig ist, ohne dass er es beweisen muss. Es gilt dann die Vermutung, dass er tatsächlich arbeitsunfähig ist, ausser der Arbeitgeber kann beweisen, dass der Arbeitnehmer ganz oder teilweise arbeitsfähig ist.

Es empfiehlt sich eine vertragliche Regelung, die insbesondere vorsieht, dass der Arbeitgeber mittels vorgängiger schriftlicher Ankündigung für jegliche Abwesenheit unabhängig von deren Dauer ein Arztzeugnis verlangen kann. Es kann zudem sinnvoll sein, im Vertrag oder Personalreglement generell festzuhalten, dass der Arbeitnehmer im gekündigten Arbeitsverhältnis vom ersten Abwesenheitstag an ein Arztzeugnis vorlegen muss, da eine unverschuldete Arbeitsverhinderung während der Kündigungsfrist bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber grundsätzlich eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses von mindestens einem Monat bewirkt.

Beweiskraft des ärztlichen Zeugnisses

Das ärztliche Zeugnis ist ein Mittel, um die Arbeitsunfähigkeit aus medizinischen Gründen zu beweisen. Es ist jedoch nicht das einzige mögliche Beweismittel und hat keine absolute Geltung. Eine unverschuldete Arbeitsverhinderung kann beispielsweise auch mit Zeugen bewiesen werden. Zur Entkräftung eines ärztlichen Zeugnisses berücksichtigt werden können insbesondere das Verhalten des Arbeitnehmers (z.B. wenn ein angeblich an Kniebeschwerden leidender Arbeitnehmer ein Dach repariert), oder die Umstände, infolge deren die Arbeitsunfähigkeit vorgebracht wurde (Arbeitsverhinderung anschliessend an eine Entlassung oder an eine Weigerung, Ferien im vom Arbeitnehmer gewünschten Zeitpunkt zu gewähren; wiederholte Abwesenheiten; Arztzeugnisse ausgestellt von für ihre Gefälligkeit bekannten Ärzten; widersprüchliche Zeugnisse; Zeugnis einzig auf Grund der Angaben des Arbeitnehmers oder erst Monate nach Beginn der Symptome ausgestellt). Gemäss Bundesgericht (1C_64/2008) hat ein Arztzeugnis keine absolute Beweiskraft, aber um seinen Wahrheitsgehalt in Zweifel zu ziehen, braucht es schon ernsthafte Gründe. Das Arztzeugnis ist also nicht ein Beweismittel wie alle anderen, sondern hat ein besonderes Gewicht. 

Wie ist nun aber die Beweiskraft des ärztlichen Zeugnisses einzuschätzen, wenn der Arbeitnehmer zwar über ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis verfügt – ohne dass der Arbeitgeber davon Kenntnis hat – und normal weiter arbeitet, und dann das Arztzeugnis vorlegt, um die Gültigkeit der empfangenen Kündigung zu bestreiten? Leider nimmt das Bundesgericht (4C.346/2004), entgegen dem Grundsatz des gesunden Menschenverstandes, in solchen Fällen nicht an, dass schlicht und einfach keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Trotz der Kontroverse in der Lehre hat das Bundesgericht entschieden, dass der Kündigungsschutz gemäss OR 336c auch unter diesen Gegebenheiten Anwendung findet, ausser wenn sich die gesundheitliche Beeinträchtigung insofern als unbedeutend erweist, als der Arbeitnehmer nicht daran gehindert wird, gegebenenfalls eine neue Stelle anzutreten. Denn diese Gesetzesbestimmung ist nicht eingeführt worden, weil der Arbeitnehmer während seiner Arbeitsverhinderung keine neue Stelle suchen kann, sondern weil eine Beschäftigung durch einen neuen Arbeitgeber am Ende der Kündigungsfrist sehr unwahrscheinlich erscheint, auf Grund der Unsicherheit in Bezug auf die Dauer und den Grad der Arbeitsunfähigkeit. Eine solche Begründung ist nicht haltbar, verlangt doch OR 336c/1b nicht nur eine gesundheitliche Beeinträchtigung, sondern auch, dass sie zu einer Arbeitsverhinderung führt, und zwar nicht hypothetisch und für die Zukunft, sondern im Zeitpunkt des Empfangs der Kündigung oder während der Kündigungsfrist. Es ist unverständlich, dass man annehmen kann, dass ein Arbeitnehmer, der tatsächlich seine Arbeitsleistung erbringt, damit nicht offensichtlich ausdrückt, dass er arbeitsfähig ist. 

Verdacht auf Missbrauch

Zweifelt der Arbeitgeber an der durch ein ärztliches Zeugnis bestätigten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers, reicht es im Allgemeinen nicht, diesem (eingeschrieben) mitzuteilen, dass er das Zeugnis nicht akzeptiert. Er hat den Arzt über die ihm zweifelhaften Punkte – ausserhalb des Arztgeheimnisses – zu befragen. Insbesondere ist er berechtigt, sich zu vergewissern, ob die Arbeitsunfähigkeitsbestätigung auf Feststellungen des Arztes und nicht nur auf den Angaben des Patienten beruht, insbesondere wenn das Zeugnis rückwirkend ausgestellt wurde. Stützt sich das rückwirkend ausgestellte Zeugnis nicht auf eine objektiv feststellbare Symptomatik und ist der Eintritt der Krankheit nicht objektiv eruierbar, sondern basiert es lediglich auf den nachträglichen Angaben des Patienten, ist dessen Beweiskraft schwach, ja sogar null (Cour d’appel des Prud’hommes de Genève, 21 février 2007, in JAR 2008 S. 376). Im Übrigen ist der Arbeitgeber jederzeit berechtigt, auf seine Kosten eine Untersuchung durch einen Arzt seiner Wahl zu verlangen, wenn ein Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit geltend macht. Verweigert der Arbeitnehmer diese Untersuchung, ist dies wie das Eingeständnis, dass keine Arbeitsverhinderung vorliegt, zu betrachten. Es empfiehlt sich diesfalls, dem Arbeitnehmer eingeschrieben mitzuteilen, dass seine Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen ist – eine in dieser Zeit ausgesprochene Kündigung somit gültig ist – er umgehend wieder zur Arbeit zu erscheinen hat, ansonsten man von einem ungerechtfertigten fristlosen Verlassen der Arbeitsstelle nach OR 337d ausgeht und das Arbeitsverhältnis per sofort endet. 

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