Massenentlassung

3. Dezember 2007

Massenentlassung

Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Massenentlassung im Sinn des Gesetzes (OR 335d), ist ein bestimmtes Verfahren einzuhalten. Einerseits müssen die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertretung vor den Kündigungen konsultiert werden, und andererseits muss der Arbeitgeber das kantonale Arbeitsamt informieren. Wird das Konsultationsverfahren nicht eingehalten, sind die ausgesprochenen Kündigungen missbräuchlich, und die Entlassenen haben Anspruch auf eine Entschädigung von maximal zwei Monatslöhnen. Will der Arbeitnehmer diese Entschädigung geltend machen, muss er gemäss OR 336b bis zum Ende der Kündigungsfrist schriftlich Einsprache erheben und den Anspruch innert 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einklagen. Kommt hingegen eine Einigung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zustande, entfällt der Entschädigungsanspruch, und dies gemäss Bundesgericht (Entscheid 4A_346/ 2007 vom 16. November 2007) auch bei einer Betriebsübernahme.

Einigung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses

Zweck der Einsprache gegen die Kündigung ist es zu veranlassen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre Differenzen bereinigen und das Anstellungsverhältnis fortsetzen. Dieser Ausgang ist in der Praxis jedoch selten. Der Einigungsversuch ist nicht Voraussetzung einer Klage auf Entschädigung. Zudem sind weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer verpflichtet, Fortsetzungsangebote der Gegenseite anzunehmen, und schon gar nicht solche zu verschlechterten Bedingungen, ja es müssen nicht einmal entsprechende Vorschläge unterbreitet werden. Immerhin ist die andere Partei gemäss Bundesgericht aber gehalten, angemessene Vorschläge der kündigenden Partei ernstlich zu prüfen. 

Bei der Massenentlassung im oben genannten Entscheid des Bundesgerichts sind die Kündigungen ohne vorgängige Konsultation der Arbeitnehmer ausgesprochen worden. Rund eineinhalb Monate danach hat die Arbeitgeberin mit einer anderen Unternehmung eine Betriebsübernahme vereinbart. Anschliessend sind die Arbeitnehmer darüber informiert worden, und der Arbeitgeber hat ihnen mitgeteilt, die ausgesprochen Kündigungen zurückzunehmen. Alle haben die Arbeit beim übernehmenden Arbeitgeber fortgesetzt, niemand hat sich gegen die Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse gestellt oder die Betriebsübernahme abgelehnt. Damit haben die Arbeitnehmer stillschweigend die Rücknahme der Kündigungen akzeptiert. Somit ist eine Einigung über die Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse gemäss OR 336b/2 zustande gekommen. Gemäss Bundesgericht macht es dabei keinen Unterschied, ob die Rücknahme der Kündigungen das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern ist, oder wie im vorliegenden Fall Folge einer Betriebsübernahme. Tatsächlich handelt es sich um einen klassischen Fall, bedrohte Arbeitsplätze auf Grund von finanziellen Schwierigkeiten des Arbeitgebers wenn möglich mittels Betriebsübernahme zu retten.

Schliesslich hält das Bundesgericht auch fest, dass OR 336b nach Wort- laut und Systematik grundsätzlich auf alle Fälle von missbräuchlichen Kündigungen anwendbar ist, also auch im vorliegenden Fall einer Massenentlassung. Folglich waren die geforderten Entschädigungen nicht geschuldet. Das Bundesgericht hatte übrigens bereits in einem früheren Entscheid angenommen, dass die 180-tägige Verwirkungsfrist in OR 336b/2 auch nach einer Massenentlassung ohne Konsultation der Arbeitnehmervertretung eingehalten werden muss.

Rechtsfolge bei unterlassener Anzeige an das Arbeitsamt

Wie eingangs erwähnt, ist bei einer beabsichtigten Massenentlassung nach der Konsultation der Arbeitnehmer das kantonale Arbeitsamt zu informieren. Der Zeitpunkt dieser Anzeige ist entscheidend, wann die Arbeitsverhältnisse enden. Ab diesem Endtermin läuft die 180-tägige Frist zur Einreichung einer Klage. Nach OR 335g/4 können Arbeitsverhältnisse, die im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt worden sind, frühestens 30 Tage nach Benachrichtigung des Arbeitsamts enden. Fraglich ist jedoch, wie diese Fristen zu berechnen sind, wenn der Arbeitgeber die Anzeige an das Arbeitsamt vollständig unterlassen hat. Das Bundesgericht hatte sich mit dieser Frage im Entscheid BGE 132 III 406 vom 19. Januar 2006 zu befassen. Trotz Verletzung der Anzeigepflicht waren die Kündigungen gültig. Strittig war aber der Zeitpunkt der Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Kommt der Arbeitgeber seiner Anzeigepflicht an das Arbeitsamt nicht nach, soll er gemäss Bundesgericht nicht besser gestellt werden, als wenn er wegen einer verspäteten Anzeige die Arbeitsverträge erst auf einen späteren Termin beenden kann. Andererseits sollen die Arbeitnehmer, die infolge der unterlassenen Anzeige des Arbeitgebers ihrer Rechte auf eine vermittelnde Tätigkeit des Arbeitsamts verlustig gehen, gegenüber den Arbeitnehmern, deren Kündigungstermin sich infolge der verspäteten Anzeige des Arbeitgebers um 30 Tage verlängerte, nicht schlechter gestellt werden. Dagegen kann es nicht angehen, dass sich der Endtermin während Jahren hinauszieht, und damit die Arbeitnehmer noch jahrelang Nachforderungen stellen können. Das Ende der Arbeitsverhältnisse ist vielmehr in diesem Fall unter Rücksicht darauf festzulegen, wann allfällige Tätigkeiten des kantonalen Arbeitsamts nach dem Zweck von OR 335g nicht mehr sinnvoll durchgeführt werden können. Im vorliegenden Fall legte das Bundesgericht den Endtermin der Arbeitsverträge auf den Zeitpunkt des Antritts ihrer neuen Stelle. Denn mit der Annahme einer neuen Stelle haben die Arbeitnehmer jedenfalls sinngemäss ihr Einverständnis mit der Beendigung des gekündigten Arbeitsvertrags erklärt. Folglich wurde hier auch die Verwirkungsfrist von 180 Tagen zur Einreichung einer Klage gemäss OR 336b/2 gewahrt.

Vgl. zur Massenentlassung auch die Publikation ARBEITSRECHT Nr. 36 – Dezember 2001.

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