Mutterschaftsentschädigung

Die vorliegende Ausgabe informiert über zwei Entscheide des Bundesgerichts zum Erwerbsersatz bei Mutterschaft.

Erwerbstätigkeit und Lohnfluss

Der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung setzt nach Art. 16b des Erwerbsersatzgesetzes (EOG) voraus, dass die Frau während neun Monaten unmittelbar vor der Geburt im Sinn des AHV-Gesetzes versichert war, in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat und im Zeitpunkt der Geburt Arbeitnehmerin im Sinn von Art. 10 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) oder Selbständigerwerbende im Sinn von ATSG 12 ist oder im Betrieb des Ehemanns mitarbeitet und einen Barlohn bezieht.

Im Entscheid 9C_293/2010 vom 8. Juli 2010 stand in Frage, ob Frau X. vor der Geburt fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und dabei ein Einkommen erzielt hat. Ein Arbeitsvertrag wurde nicht eingereicht. Lediglich ein Buchhaltungsauszug, auf welchem vermerkt war, dass Frau X. Offerten erstellt habe, lag vor. Darin wurden betreffend das Konto „Cashbestand“ für 2008 monatliche Geldbezüge mit dem Vermerk „X.“ aufgeführt. So wurden am 30. September 2008 Fr. 2‘762.15 und am 31. Oktober, 28. November sowie 31. Dezember 2008 je Fr. 6‘905.30 verbucht. Zudem lag eine Lohnabrechnung sowie der diesbezügliche Auszug aus der Lohnbuchhaltung vor, wonach Frau X. im Januar 2009 Fr. 6‘562.80 erhalten habe. Die aufgeführten Beträge stimmten mit den Angaben im Anmeldeformular überein. Die eingereichten Unterlagen haben den Eindruck entstehen lassen, dass jedenfalls von September 2008 bis Januar 2009 Frau X. ein Lohn ausbezahlt worden sei. Ihr Beweiswert wurde jedoch dadurch geschmälert, dass alle vorgelegten Dokumente vom Arbeitgeber, seinen Organen oder Angestellten erstellt wurden. Zeitpunkt und Höhe der behaupteten Zahlungen konnten nicht nachgewiesen werden, und dass der Lohn durch Überweisung auf ein Bank- oder Postkonto entrichtet worden sei, wurde nicht behauptet. Für die Auszahlung von Barlohn an Frau X. wurden keine Quittungen oder andere Beweise vorgelegt. Hinzu kam, dass die Aussage in einer E-Mail eines Verwaltungsrats, es mache „keinen Sinn, grosse Bankzahlungen zu tätigen, wenn doch eh das erzielte Einkommen zum gemeinsamen Unterhalt gebraucht wird“, darauf schliessen liess, dass gar kein Lohn geflossen war.

Da die Akten etliche Widersprüche enthielten, eine Erwerbstätigkeit von X. im erforderlichen Zeitraum vor der Geburt während fünf Monaten sowie der notwendige Lohnfluss nicht überwiegend wahrscheinlich erstellt war, hat die Vorinstanz gemäss Bundesgericht kein Bundesrecht verletzt, wenn sie folglich einen Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung als nicht ausgewiesen beurteilte. Von einer willkürlichen Beweisführung kann keine Rede sein. Der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung besteht gemäss Bundesgericht nur, wenn Erwerbstätigkeit und Lohnfluss überwiegend wahrscheinlich nachgewiesen sind, und dies war hier gerade nicht der Fall.

Arbeitslosigkeit

Entgegen der allgemeinen Regel kann auch eine Frau, die im Zeitpunkt der Geburt nicht erwerbstätig ist, Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung haben. Nach EOG 16b/3 in Verbindung mit Art. 29 der Erwerbsersatzverordnung (EOV) ist dies der Fall, wenn eine Mutter im Zeitpunkt der Geburt arbeitslos ist oder infolge Arbeitslosigkeit die erforderliche Mindesterwerbsdauer nach EOG 16b/1b nicht erfüllt und sie bis zur Geburt ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung bezog oder am Tag der Geburt die für den Bezug eines Taggeldes nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVIG) erforderliche Beitragsdauer erfüllt. 

Dem Entscheid 9C_121/2010 vom 8. Juli 2010 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Frau A. arbeitete von Januar 1995 bis Ende Dezember 2007 bei der Firma P., wobei sie vom 1. August 2006 bis 31. Dezember 2007 unbezahlten Urlaub bezog. Am 14. Januar 2008 gebar sie ihr drittes Kind und meldete sich für Mutterschaftsentschädigung an. Nach AVIG 10/1+2 gilt als ganz oder teilweise arbeitslos, wer in keinem oder nur einem teilzeitlichen Arbeitsverhältnis steht und eine Vollzeit- bzw. eine weitere Teilzeitbeschäftigung sucht. Zudem gilt der Arbeitssuchende gemäss AVIG 10/3 erst dann als arbeitslos, wenn er sich beim Arbeitsamt seines Wohnorts zur Arbeitsvermittlung gemeldet hat. Unbestritten war, dass Frau A. im Zeitpunkt der Geburt nicht beim Arbeitsamt gemeldet war. Doch nach der Entstehungsgeschichte von EOG 16b/3 soll nicht verlangt werden, dass eine Frau im Zeitpunkt der Geburt auch tatsächlich Arbeitslosenentschädigung bezieht. Ein Anspruch soll auch dann bestehen, wenn ohne Bezug von Arbeitslosenentschädigung im Zeitpunkt der Geburt eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug eröffnet ist, unabhängig davon, ob unmittelbar vor der Geburt Arbeitslosenentschädigung bezogen wird, oder wenn unmittelbar vor oder unmittelbar nach der Geburt eine nach dem AVIG genügende Beitragszeit nachgewiesen ist oder ein Grund für die Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit vorliegt. Damit soll vermieden werden, dass sich Versicherte zur Wahrung ihrer Ansprüche auf Mutterschaftsentschädigung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung anmelden müssen. Der Begriff „arbeitslos“ gemäss EOG 16b/3 und EOV 29 ist also nicht im Sinn von AVIG 10/3 zu verstehen. Eine Abweichung ist jedoch nur vom formellen Erfordernis der Anmeldung beim Arbeitsamt zulässig. Materiell muss Arbeitslosigkeit vorliegen. Da die Mutter keine Taggelder der Arbeitslosenversicherung bis zur Geburt bezogen hat, wird vorausgesetzt, dass sie am Tag der Geburt die für den Bezug eines Taggeldes nach dem AVIG erforderliche Beitragsdauer erfüllt. Dies war im vorliegenden Fall umstritten. Fest stand, dass Frau A. innerhalb der ordentlichen Rahmenfrist für die Beitragszeit von zwei Jahren vor der Geburt (AVIG 9/3) nicht während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat (AVIG 13/1), da sie ab August 2006 wegen eines unbezahlten Urlaubs keinen Lohn mehr bezog. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die massgebliche Rahmenfrist nach AVIG 9b/2 verlängert werden kann. Denn gemäss dieser Bestimmung beträgt die Rahmenfrist für die Beitragszeit von Versicherten, die sich der Erziehung ihrer Kinder gewidmet haben, vier Jahre, sofern zu Beginn der einem Kind unter zehn Jahren gewidmeten Erziehung keine Rahmenfrist für den Leistungsbezug lief. Wer jedoch wie Frau A. seit längerer Zeit keine bezahlte Erwerbstätigkeit mehr ausübt, ohne sich bei der Arbeitslosenversicherung anzumelden, ist nicht wegen Arbeitslosigkeit nicht erwerbstätig, sondern aus anderen, beispielsweise familiären Gründen. Eine gesetzeskonforme Auslegung der Verordnung führt daher gemäss Bundesgericht dazu, dass unter Beitragsdauer im Sinn von EOV 29/b nur diejenige, die in der ordentlichen zweijährigen Rahmenfrist zurückgelegt wurde, verstanden werden kann. Somit hatte Frau A. keinen Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung.

Den Abonnenten Beratung und Beratung 360° vorbehalten Abonnieren Sie sich

Eine Kategorie wählen:

Laden….