Unverschuldete Arbeitsverhinderung

Im Zusammenhang mit Arbeitsverhinderungen des Arbeitnehmers auf Grund von Operationen, Kuraufenthalten, Suchterkrankungen, Sport- und Verkehrsunfällen ist oft nicht klar, ob der Arbeitgeber während diesen Zeiten lohnfortzahlungspflichtig ist, und ob diese Zeiten Sperrfristen auslösen, die dem Arbeitnehmer als Kündigungsschutz dienen. Von zentraler Bedeutung ist dabei der Begriff des Verschuldens, d.h. die Frage, ob der Arbeitnehmer seine Arbeitsverhinderung selber verschuldet hat oder nicht. Wie die folgenden Ausführungen zeigen, muss diese Frage in jedem Einzelfall für sich unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände beurteilt werden.

Lohnfortzahlungspflicht

Begriff des Verschuldens

Voraussetzung der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers während einer krankheits- oder unfallbedingten Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers ist, dass diesen daran kein Verschulden trifft (OR 324a/b). Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung darf ein Verschulden generell nur zurückhaltend angenommen werden, denn der Arbeitnehmer soll nicht ständig unter Anspannung aller Kräfte auf die Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit bedacht sein müssen. Deshalb schadet leichte Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers nicht. Als selbstverschuldet gilt eine Arbeitsverhinderung dann, wenn sie der Arbeitnehmer absichtlich, eventualvorsätzlich – also zumindest in Kauf genommen – oder grobfahrlässig herbeigeführt hat.

Lohnfortzahlung bei speziellen Krankheitsfällen

Bei ärztlichen Eingriffen sind die Fragen nach der Notwendigkeit und der Aufschiebbarkeit des Eingriffs zu beantworten. Handelt es sich um eine medizinisch notwendige Operation, kann der Arbeitnehmer in der Regel den Zeitpunkt bestimmen – selbst wenn die Operation aufschiebbar wäre – und es liegt grundsätzlich auch dann keine selbstverschuldete Arbeitsverhinderung vor, wenn er die Operation in die Kündigungsfrist legt. Ist der Eingriff hingegen nicht medizinisch indiziert, kann der Arbeitnehmer den Zeitpunkt nicht selber bestimmen, die Arbeitsverhinderung gilt als selbstverschuldet und der Arbeitgeber ist nicht lohnfortzahlungspflichtig. Das ist regelmässig bei Schönheitsoperationen der Fall, soweit sich deren Notwendigkeit nicht aus psychischen Gründen ergibt. Auch eine offensichtliche Verletzung der ärztlichen Verordnungen kann als Selbstverschulden in Betracht gezogen werden.

Bei Kuraufenthalten ist entscheidend, ob der Kuraufenthalt medizinisch zwingend indiziert ist oder nicht. Kuren, die zwar wünschenswert, ärztlich aber nicht notwendig sind, wie etwa bei physischen und psychischen Erschöpfungszuständen, gelten als selbstverschuldet – unabhängig davon, ob und aus welchen Gründen die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden – und der Arbeitgeber ist nicht lohnfortzahlungspflichtig. Hingegen stellt ein Kuraufenthalt zur Heilung einer Krankheit zumindest dann eine unverschuldete Arbeitsverhinderung dar, wenn er nicht ohne Gefahr für die Gesundheit verschoben werden kann. 

Die Frage des Verschuldens ist besonders bei Suchterkrankungen (Drogen, Alkohol) umstritten. Unserer Meinung nach ist die durch dauernde Drogeneinnahme verursachte Arbeitsverhinderung in der Regel als selbstverschuldet zu betrachten und entsprechend nicht zu bezahlen. Der Arbeitnehmer nimmt – zumal beim Konsum harter Drogen – zumindest eine voraussehbare Arbeitsverhinderung bewusst in Kauf. Hingegen wird die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers wegen Drogenentzugssymptomen als unverschuldet betrachtet.

Über die Konsequenzen einer selbstverschuldeten Arbeitsverhinderung ist sich die Lehre uneinig. Wir sind der Meinung, dass der Lohnfortzahlungsanspruch ganz entfällt, da eine blosse Kürzung nach dem Grad des Verschuldens dem im Gesetz als Anspruchsvoraussetzung verankerten Verschuldensprinzip widerspräche. Abgesehen davon wäre es sehr schwierig, im konkreten Einzelfall die Reduktion zu bestimmen. 

Lohnfortzahlung bei Unfällen

Bei Unfällen und Berufskrankheiten ist die Rechtslage insofern anders als bei Krankheiten, als eine obligatorische Erwerbsausfallversicherung besteht und somit OR 324b anwendbar ist. Die Unfallversicherung bezahlt keine Taggelder, wenn der Arbeitnehmer einen Unfall absichtlich herbeigeführt hat, und sie kürzt bei Nichtberufsunfällen die Taggelder, wenn der Arbeitnehmer den Unfall grobfahrlässig verursacht hat. Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob der Arbeitgeber seine Leistungen (Ergänzung auf 80% des entgangenen Lohns während der beschränkten Zeit und eventuell Ergänzung auf 100% auf Grund vertraglicher Vereinbarung) auch entsprechend verweigern oder kürzen kann. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Verschuldensbegriffe im Sozialversicherungsrecht und im Arbeitsrecht nicht immer zu decken brauchen, und die Verfügungen der Sozialversicherungsbehörden und –gerichte den Zivilrichter bei der Beurteilung der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht binden, namentlich wenn sich der Arbeitnehmer gegen eine nachteilige Verfügung nicht mit Einsprache usw. gewehrt hat. Wir sind der Meinung, dass die Ergänzungspflicht des Arbeitgebers grundsätzlich ganz entfällt, wenn die Unfallversicherung ihre Leistungen kürzt oder verweigert, da das Gesetz für eine blosse Kürzung des Lohnanspruchs keinen Raum lässt.

In der Regel dürfte bei gefährlichen Sportarten nur leichte Fahrlässigkeit vorliegen, wenn der Sport nach den gängigen Regeln ausgeübt wird, selbst bei Teilnahme an Wettkämpfen z.B. im Skifahren, Bergsteigen, Tauchen, Reiten oder Deltasegeln. Wer bei gefährlichen Betätigungen hingegen die gebotenen Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet, kann damit grobfahrlässig handeln. Bei Verkehrsunfällen muss ein grober Verstoss gegen die Strassenverkehrsregeln vorliegen, damit Selbstverschulden in Betracht kommt.

Kündigungsschutz

Auch der Kündigungsschutz bei krankheits- oder unfallbedingter Arbeitsverhinderung besteht nur, wenn diese ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten ist. Ob unverschuldete Krankheit oder Unfall im Sinn von OR 336c/1b vorliegt, bestimmt sich nach den gleichen Gesichtspunkten wie bei der vorgenannten Lohnfortzahlungspflicht gemäss OR 324a/b. Liegt eine vom Arbeitnehmer selbstverschuldete Arbeitsverhinderung vor, bewirkt diese keine Sperrfrist. Das bedeutet zweierlei: Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis während dieser Zeit ordentlich kündigen, und fällt die selbstverschuldete Arbeitsverhinderung in die Kündigungsfrist einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung, erfolgt keine Unterbrechung und Verlängerung des Arbeitsverhältnisses.

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