Wichtigkeit der Schriftform

3. Dezember 2012

Wichtigkeit der Schriftform

Auch wenn ein Arbeitsvertrag mündlich abgeschlossen werden kann, ist für gewisse Einzelabreden die Schriftform Gültigkeitserfordernis – beispielsweise dass Überstunden nicht zu bezahlen sind – und für andere lediglich, aber immerhin, Beweismittel – beispielsweise die Erhöhung der Arbeitszeit. Kann nicht nachgewiesen werden, dass die Vertragsparteien eine Erhöhung der Arbeitszeit vereinbart haben, riskiert der Arbeitgeber, allfällige Überstunden gemäss OR 321c/3 bezahlen zu müssen, sofern nicht schriftlich die Bezahlung der Überstunden wegbedungen worden ist.

Sachverhalt

Dem Bundesgerichtsentscheid 4A_172/2012 vom 22. August 2012 lag folgender Sachverhalt zu Grund: Ein Arbeitnehmer ist von seinem Arbeitgeber, ohne schriftliche Vereinbarung, zum Atelierchef befördert worden. Mit dieser Änderung verbunden war einerseits eine Erhöhung des Lohnes und der Gratifikation, andererseits musste der Atelierchef am Morgen etwas früher als seine Mitarbeiter zur Arbeit erscheinen und am Abend etwas länger als diese bleiben. Nachdem sein Arbeitsvertrag gekündigt worden war, forderte der Atelierchef von seinem Arbeitgeber eine beträchtliche Summe für geleistete Überstunden, mit der Begründung, er habe nicht gültig in eine Erhöhung der vertraglichen Arbeitszeit eingewilligt. Der Arbeitgeber hingegen war der Ansicht, dass die Vertragsparteien einen neuen Arbeitsvertrag mit abgeänderter Arbeitszeit abgeschlossen hätten, welcher die zusätzlichen Minuten pro Tag auf Grund der neuen Funktion als Atelierchef einschloss.

Das Kantonsgericht folgte der Version des Atelierchefs und der Arbeitgeber zog den Fall vor Bundesgericht. Das Bundesgericht hat seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde zu legen, den die Vorinstanz festgestellt hat, ausser der Sachverhalt sei willkürlich festgestellt worden. Es ist also möglich, dass der Sachverhalt, von dem das Bundesgericht ausgeht, nicht vollständig der Realität entspricht. Im vorliegenden Fall stellte die Vorinstanz nicht fest, dass die Parteien den wirklichen und gemeinsamen Willen gehabt hätten, die Arbeitszeit zu erhöhen; dabei handelt es sich um eine Tatsache. Und der Arbeitgeber machte nicht geltend, die Sachverhaltsfeststellung sei willkürlich erfolgt. Das Bundesgericht ist deshalb davon ausgegangen, dass keine wirkliche Vereinbarung zustande gekommen war. Es nahm vielmehr an, dass der Arbeitgeber versuchte, das Hindernis der Schriftform zu umgehen, die zwingend ist für jegliche Form der Einschränkung der Bezahlung von Überstunden gemäss OR 321c/3.

Mündliche Vereinbarung nicht gültig

Gemäss OR 321c/3 hat der Arbeitgeber geleistete Überstunden mit einem Zuschlag von 25% zu bezahlen, ausser wenn diese durch Freizeit ausgeglichen werden oder wenn durch schriftliche Vereinbarung, Gesamtarbeitsvertrag oder Normalarbeitsvertrag etwas anderes bestimmt ist. Das Bundesgericht präzisierte, das Erfordernis der Schriftform für das Abweichen von der gesetzlichen Regelung bezwecke, den Grundsatz der Lohnzahlung zu wahren. Denn dieser würde weitgehend aufgegeben, wenn mündliche Vereinbarungen toleriert würden. Deshalb ist diese Formvorschrift zwingend und sie kann nicht durch eine mündliche Vereinbarung ausgeschlossen werden.

Rechtsmissbrauch?

Dennoch kann es Situationen geben, in denen es missbräuchlich wäre, wenn sich der Arbeitnehmer auf die Verletzung einer zwingenden Bestimmung berufen würde. Das Bundesgericht erwähnt den Fall eines Buchhalters, der sich ausdrücklich dagegen gewehrt hatte, dass ihm zur Bewältigung der Arbeitslast eine Hilfskraft beigestellt werde, da er zusätzlichen Verdienst gut gebrauchen könne. Es war unbestrittenermassen – allerdings nur mündlich – klar vereinbart worden, dass er keinen Überzeitzuschlag erhalte. Nur unter dieser Bedingung hatte seine Arbeitgeberin vom Beizug einer Hilfskraft abgesehen. Hinterher machte er den Überzeitzuschlag gleichwohl geltend und begründete dies damit, dass das Arbeitsgesetz einen zwingenden Anspruch darauf verleihe und dass überdies gemäss der zwingenden Vorschrift von OR 321c/3 ein Verzicht schriftlich vereinbart werden müsse. Die Berufung des Arbeitnehmers auf die zwingenden Gesetzesvorschriften war offenkundig widersprüchlich zu seinem früheren Verhalten und wurde damit als rechtsmissbräuchlich beurteilt.

Generell gilt, dass ein Arbeitnehmer, der die Gültigkeit einer Vereinbarung wegen der Verletzung einer zwingenden Bestimmung bestreitet, nicht rechtsmissbräuchlich handelt, ausser bei Vorliegen besonderer Umstände. Blosses Zuwarten mit der Rechtsausübung innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfristen begründet allgemein noch nicht Rechtsmissbrauch. Zum blossen Zeitablauf müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die Rechtsausübung mit der früheren Untätigkeit des Berechtigten in einem unvereinbaren Widerspruch erscheinen lassen. Solche können darin bestehen, dass dem Verpflichteten aus der verzögerten Geltendmachung in erkennbarer Weise Nachteile erwachsen sind und dem Berechtigten die Rechtsausübung zumutbar gewesen wäre, oder darin, dass der Berechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs zuwartet, um sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaff en. Erkennbare Nachteile für den Verpflichteten können dabei nach der Lehre namentlich darin bestehen, dass sich die Forderung nicht mehr überprüfen lässt.

Auch im vorliegenden Fall stellte sich die Frage, ob der Atelierchef rechtsmissbräuchlich handelte, indem er die Bezahlung der Überstunden nicht früher geltend machte, das heisst vor dem Vertragsende, obschon er wahrscheinlich die Formvorschrift bereits kannte. Das Bundesgericht beurteilte das Verhalten des Atelierchefs nicht als rechtsmissbräuchlich, da nicht erwiesen war, dass er vor Beginn der Einleitung des Verfahrens gegen seinen Arbeitgeber von diesem Formmangel Kenntnis hatte. Eine solche Kenntnis lässt sich nicht einzig daraus ableiten, dass er weiterhin für sich Buch führte über seine Überstunden. Diese Haltung kann durchaus auch damit erklärt werden, dass er den Entscheid des Arbeitgebers nicht akzeptierte, aber das Arbeitsvertragsverhältnis nicht gefährden wollte. Somit hatte der Arbeitgeber dem Atelierchef die geleisteten Überstunden gemäss OR 321c/3 zu bezahlen.

Kommentar

Möchte der Arbeitgeber die Arbeitszeit eines Mitarbeiters erhöhen, empfiehlt sich dem Arbeitgeber sehr, dies schriftlich zu vereinbaren, um nicht allenfalls Gefahr zu laufen, zusätzliche Überstunden bezahlen zu müssen. 

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