Arbeitsversuch durch Invalidenversicherung

1. Januar 2019

Arbeitsversuch durch Invalidenversicherung

Die Invalidenversicherung (IV) kann einer versicherten Person versuchsweise einen Arbeitsplatz für längstens 180 Tage zuweisen, um ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit im Arbeitsmarkt abzuklären. Der Arbeitsversuch findet auf dem Primärarbeitsmarkt statt. Ohne an einen Arbeitsvertrag gebunden zu sein und ohne eine Entschädigung bezahlen zu müssen, kann der Arbeitgeber während dieser Zeit die Fähigkeiten der betroffenen Person testen. Zudem ist nun auch aufgrund eines aktuellen Urteils des Bundesgerichts (8C_324/2018) klar, dass die betroffene Person während eines Arbeitsversuchs gegen Unfall versichert ist.

Verschiedene Leistungen der IV an Arbeitgeber

Die (Wieder-)Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt wird auch gefördert durch Anreize für Arbeitgeber. Es handelt sich insbesondere um den Einarbeitungszuschuss, den Arbeitgeberbeitrag, eine Entschädigung für Beitragserhöhungen und den Arbeitsversuch.

Was ist ein Arbeitsversuch?

Die IV kann einer versicherten Person versuchsweise einen Arbeitsplatz für längstens 180 Tage zuweisen, um die tatsächliche Leistungsfähigkeit dieser Person im Arbeitsmarkt abzuklären (IVG 18a/1). Der Arbeitsversuch ermöglicht die Vermittlung von Versicherten an Unternehmen, damit sie die Möglichkeit erhalten, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Der Arbeitgeber kann auf diese Weise während maximal sechs Monaten die Fähigkeiten der betroffenen Person testen. Während des Arbeitsversuchs entsteht kein Arbeitsverhältnis, d.h. der Arbeitgeber ist nicht durch einen Arbeitsvertrag gebunden. Jedoch sind gemäss IVG 18a/3 folgende Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts sinngemäss anwendbar: Sorgfalts- und Treuepflicht (OR 321a); Rechenschafts- und Herausgabepflicht (OR 321b); Überstundenarbeit (OR 321c); Befolgung von Anordnungen und Weisungen (OR 321d); Haftung des Arbeitnehmers (OR 321e); Arbeitsgeräte, Material und Auslagen (OR 327 bis 327c); Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers (OR 328 und 328b); Freizeit und Ferien (OR 329, 329a und 329c); übrige Pflichten: Kaution (OR 330), Zeugnis (OR 330a), Informationspflicht (OR 330b); Rechte an Erfindungen und Designs (OR 332); Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Fälligkeit der Forderungen (OR 339/1), Rückgabepflichten (OR 339a). Schädigt die versicherte Person den Einsatzbetrieb, haftet unter bestimmten Umständen die IV für den Schaden. Die Verpflichtungen der Parteien des Arbeitsversuchs werden in einer Vereinbarung festgehalten. Während des Arbeitsversuchs hat die versicherte Person Anspruch auf ein Taggeld, bzw. Rentenbezüger beziehen weiter eine Rente (IVG 18a/2). Der Arbeitsversuch wird vorzeitig beendet, wenn das vereinbarte Ziel erreicht wurde, sich eine geeignete Eingliederungsmassnahme aufdrängt, die Weiterführung aus medizinischen Gründen nicht zumutbar ist oder eine Weiterführung aus andern Gründen nicht zielführend ist (IVV 6bis).

Wer bezahlt bei Unfall?

Dem eingangs erwähnten Urteil des Bundesgerichts lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Nachdem ein 57-jähriger Auslieferungsfahrer ein halbes Jahr wegen einer Beeinträchtigung des Ischiasnervs vollständig arbeitsunfähig war, reichte er am 21. Mai 2014 bei der IV ein Gesuch um Leistungen ein. Die IV gewährte ihm vom 1. März bis am 31. Mai 2016 eine berufliche Massnahme in Form eines Praktikums als Hilfslagerist in einem Unternehmen. Dieses Unternehmen hatte seine Mitarbeiter gegen Berufs und Nichtberufsunfälle bei der SUVA versichert. Da das Praktikum gut verlief, schlossen der versicherte Mann, der Vertreter des Unternehmens und der zuständige IV-Berater am 7. Juni 2016 eine Vereinbarung über einen sogenannten Arbeitsversuch als Hilfslagerist vom 1. Juni bis am 31. August 2016 ab. Anschliessend wurde der Arbeitsversuch um drei Monate verlängert. Am 18. Oktober 2016 fiel der Mann bei der Arbeit aus ungefähr drei Metern von einer Leiter und brach sich einen Rückenwirbel. In der Folge hat die IV ihre Taggeldzahlungen ab diesem Datum eingestellt. Die SUVA hingegen weigerte sich, den Fall zu übernehmen. Sie war der Meinung, dass der Mann zwar während des Praktikums vom 1. März bis am 31. Mai 2016 nach dem Unfallversicherungsgesetz (UVG) versichert gewesen sei, dieser Schutz aber 30 Tage (seit 2017 31 Tage) nach Beendigung des Praktikums ende. Der anschliessende Arbeitsversuch hingegen begründe keinen Versicherungsschutz, da der Mann weder Angestellter noch Praktikant dieses Unternehmens gewesen sei. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Waadt hiess die Beschwerde des verunfallten Mannes gut, worauf die SUVA den Fall ans Bundesgericht weiterzog.

Obligatorisch versichert nach den Bestimmungen des UVG sind die in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer, einschliesslich der Heimarbeiter, Lernende, Praktikanten, Volontäre sowie der in Lehr- oder Invalidenwerkstätten tätigen Personen (UVG 1a/1). Gemäss UVV 1a/1 sind auch Personen, die zur Abklärung der Berufswahl bei einem Arbeitgeber tätig sind, obligatorisch versichert. Nach der Rechtsprechung ist Arbeitnehmer gemäss UVG, wer um des Erwerbs oder der Ausbildung willen für einen Arbeitgeber, mehr oder weniger untergeordnet, dauernd oder vorübergehend tätig ist, ohne dabei ein eigenes wirtschaftliches Risiko tragen zu müssen. Das Vorhandensein eines Arbeitsvertrags ist jedoch nicht Voraussetzung für die Versicherteneigenschaft gemäss UVG 1a/1. Folglich ist der Begriff des Arbeitnehmers nach dieser Bestimmung weiter als im Arbeitsvertragsrecht. Liegt weder ein Arbeitsvertrag noch ein öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis vor, ist unter Würdigung der wirtschaftlichen Umstände in ihrer Gesamtheit zu beurteilen, ob die Arbeitnehmereigenschaft gegeben ist.

Gemäss Bundesgericht gibt es keinen Grund, den Arbeitsversuch hinsichtlich der Unterstellung unter die obligatorische Unfallversicherung anders zu behandeln als ein Praktikum oder ein Volontariat. Unter dem gleichen Gesichtspunkt ist kein Unterschied ersichtlich zwischen einem Arbeitsversuch im Rahmen der Berufsberatung (während dem der Versicherte dem UVG unterstellt ist) und einem Arbeitsversuch im Sinne von IVG 18a, welcher im vorliegenden Fall die Fortsetzung davon war. Es gibt umso weniger Anlass, eine Unterscheidung vorzunehmen, als der Arbeitsversuch viele Charakteristiken eines Arbeitsvertrags aufweist, was sich aus der Aufzählung in IVG 18a/3 ergibt. Zudem war der verunfallte Mann während des Arbeitsversuchs nicht aus blosser Gefälligkeit tätig, sondern setzte sich echt für dieses Unternehmen ein, welches ein wirtschaftliches Interesse an der Arbeitsleistung hatte. Wie der Unfall zeigte, war der Mann während des Arbeitsversuchs denselben Berufsrisiken ausgesetzt wie die übrigen Mitarbeiter des Unternehmens. Hinzu kommt, dass der Bundesrat in der Botschaft zur 6. IV-Revision während Arbeitsversuchen eine obligatorische Versicherung vorgesehen hat, deren Bedingungen aber bisher noch nicht auf dem Verordnungsweg konkretisiert wurden. Unter diesen Umständen ist gemäss Bundesgericht davon auszugehen, dass der verunfallte Mann während des Arbeitsversuchs obligatorisch gegen Unfälle bei der SUVA versichert war.

  



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