Bonus: Gratifikation oder Lohnbestandteil?

1. August 2016

Bonus: Gratifikation oder Lohnbestandteil?

Einmal mehr hatte das Bundesgericht zu entscheiden, ob ein Bonus als (freiwillige) Gratifikation oder als (geschuldeter) Lohnbestandteil zu qualifizieren ist (Urteil 4A_557/2015). Dabei hat es seine bisherige Rechtsprechung zum massgeblichen Zeitraum zur Beurteilung, ob ein Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag ein sehr hohes Einkommen erzielt, wie folgt präzisiert: Ausnahmsweise, insbesondere wenn der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit nur für einige Monate während dem zweiten strittigen Jahr ausgeübt hat, bestimmt sich der massgebliche Zeitraum nicht nach einem Jahreslohn, sondern nach der effektiv erhaltenen Entschädigung während der strittigen Periode.

Ausgangslage

Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es in der Regel zweierlei, damit ein Bonus als (freiwillige) Gratifikation zu qualifizieren ist und nicht als (geschuldeter) Lohnbestandteil. Erstens muss die Gewährung des (freiwilligen) Bonus im Ermessen des Arbeitgebers liegen und zweitens muss der Bonus im Verhältnis zum Lohn akzessorisch sein.

Unter dem Blickwinkel der Akzessorietät kann gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei niedrigen Gesamteinkommen bereits ein im Verhältnis zum Lohn geringerer Bonus den Charakter eines (variablen) Lohnbestandteils aufweisen, da bei einem niedrigen Einkommen ein kleiner Einkommensunterschied mehr Bedeutung hat als bei einem hohen Einkommen. Bei mittleren und höheren Gesamteinkommen kann ein im Verhältnis zum Lohn sehr hoher Bonus, ein gleich hoher oder ein den Lohn übersteigender Bonus, der regelmässig bezahlt wird, trotz vereinbarter Freiwilligkeit ausnahmsweise einen (variablen) Lohnbestandteil darstellen. Die entsprechende Grenze kann nicht einfach in einer festen Verhältniszahl zwischen dem vereinbarten Lohn und dem freiwilligen Bonus liegen. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Bei fehlender Akzessorietät ist der Bonus (teilweise oder ganz) Lohnbestandteil. Daraus folgt, dass bei unterjährigem Austritt auch ein pro rata Anspruch besteht.

Das Kriterium der Akzessorietät spielt jedoch gemäss Bundesgericht dann keine Rolle, wenn die jährliche Entschädigung (Lohn und Bonus) den fünffachen Medianlohn in der Privatwirtschaft erreicht oder übersteigt. Zur Beurteilung, ob in einem bestimmten Zeitpunkt diese Grenze des sehr hohen Einkommens erreicht oder überschritten wird, ist nicht die Zuordnung einer Zahlung zu einem Geschäftsjahr massgebend, sondern der Zeitpunkt des effektiven Geldzuflusses.

Präzisierung der Rechtsprechung

Dem eingangs erwähnten Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Arbeitnehmerin war seit November 2006 als „gestionnaire responsable du marché“ (mit Direktorentitel) bei einer Bank in Genf tätig. Vereinbart war ein Fixlohn von 300 000 Franken. Zudem erhielt die Arbeitnehmerin unter anderem „des bonus discrétionnaires“. Nachdem das Arbeitsverhältnis durch Vereinbarung per Ende Mai 2012 aufgelöst wurde, forderte die Arbeitnehmerin vor Bundesgericht rund 1,6 Mio Franken für das Jahr 2011 und rund 0,2 Mio Franken für das Jahr 2012 als variablen Lohn. Die Bank hingegen war der Ansicht, dass es sich bei den „bonus discrétionnaires“ um freiwillige Leistungen handelte. Das Bundesgericht kam, wie bereits die Vorinstanz, zum Schluss, dass diese als (freiwillige) Gratifikation zu qualifizieren sind. Folglich musste noch beurteilt werden, ob das Gesamteinkommen die Schwelle des sehr hohen Einkommens erreichte und somit die Akzessorietät keine Rolle spielte.

Der massgebliche Zeitraum zur Beurteilung, ob ein Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag ein sehr hohes Einkommen erzielt, bestimmt sich gemäss Bundesgericht in der Regel nach einem Jahreslohn. Ausnahmsweise wird die Repräsentativität jedoch besser gewährleistet sein, wenn man die effektiv erhaltene Entschädigung während der strittigen Periode berücksichtigt. Diese Betrachtungsweise wird insbesondere dann passender sein, wenn der Arbeitnehmer, wie im vorliegenden Fall, seine berufliche Tätigkeit nur für einige Monate während dem zweiten strittigen Jahr ausgeübt hat.

Die Arbeitnehmerin hatte ihre berufliche Tätigkeit das ganze Jahr 2011 und lediglich fünf Monate im Jahr 2012 (bis am 31. Mai 2012) ausgeübt. Da der erhaltene Lohn während den fünf Monaten im Jahr 2012 nicht repräsentativ war für die von der Arbeitnehmerin vorher erzielten Löhne, ist es angebracht, sich auf die gesamten während der strittigen Periode (von 2011 und 2012, d.h. 17 Monate) erhaltenen Löhne zu stützen. Im Jahr 2011 hat die Arbeitnehmerin als Lohn 300 000 Franken erhalten, einen „avance de bonus“ von 200 000 Franken (am 6. Oktober 2011) und gemäss Vereinbarung vom 20. November 2009 einen Anteil am Mehrwert der Bank von 264 665 Franken (am 28. Februar 2011), d.h eine Gesamtentschädigung von 764 665 Franken. Diesem Betrag galt es den zwischen Januar und Mai 2012 erhaltenen Betrag von

125 000 Franken hinzuzufügen. Somit ergab sich für die 17 Monate eine Gesamtentschädigung von 889 665 Franken.

Zur Berechnung des massgebenden Schwellenwertes muss man den Schwellenwert für 2011 (12 Monate) und denjenigen für 2012 (5 Monate) addieren. Für das Jahr 2011 (ungerades Jahr) existieren keine statistischen Daten über den schweizerischen Medianlohn (Privater Sektor). Dieser kann jedoch bestimmt werden, ausgehend von den für das Jahr 2010 (gerades Jahr) erstellten Statistiken. Es ergibt sich aus den auf der Webseite des Bundesamts für Statistik (www.bfs.admin.ch) zur Verfügung gestellten Daten, dass der schweizerische Medianlohn (Privater Sektor) im Jahr 2010 einem monatlichen Bruttolohn von 5 929 Franken entsprach (Tabelle TA1_b „Monatlicher Bruttolohn (Zentralwert) nach Wirtschaftsabteilungen, beruflicher Stellung und Geschlecht, Privater Sektor, Schweiz 2010“. Für das Jahr 2011 kann der Medianlohn auf der Basis des Nominallohnindexes 2011-2015 (Tabelle T1.10, verfügbar auf www.bfs.admin.ch) berechnet werden, d.h. 5 929 Franken des Jahres 2010 plus 1% ergibt 5 988 Franken (gerundet). Für das Jahr 2012 beträgt der Medianlohn 6 118 Franken (Tabelle TA1_b „Monatlicher Bruttolohn (Zentralwert) nach Wirtschaftsabteilungen, beruflicher Stellung und Geschlecht, Privater Sektor, Schweiz 2012“. Die Schwelle zum sehr hohen Einkommen ist deshalb für das Jahr 2011 bei 359 280 Franken (5 988 Franken mal 12 mal 5) und für das Jahr 2012 bei 152 950 Franken (6 118 Franken mal 5 mal 5), das ergibt für die strittige Periode insgesamt 512 230 Franken. Demgegenüber beträgt die effektiv erhaltene Entschädigung für die 17 Monate 889 665 Franken. Da diese höher ist als der fünffache Medianlohn für die gleiche Periode (512 230 Franken), spielte das Kriterium der Akzessorietät keine Rolle und der Bonus der Arbeitnehmerin blieb auch für die Jahre 2011 und 2012 eine (freiwillige) Gratifikation.

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