Pikettdienst

1. Juli 2016

Pikettdienst

Beim Pikettdienst hält sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin neben der normalen Arbeit für allfällige Arbeitseinsätze bereit für die Behebung von Störungen, die Hilfeleistung in Notsituationen, für Kontrollgänge oder für ähnliche Sonderereignisse. In der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV1) ist der zulässige Umfang des Pikettdienstes geregelt und inwiefern Pikettdienst an die Arbeitszeit anzurechnen ist. Zudem gibt es für Krankenanstalten und Kliniken in der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV2) eine Sonderbestimmung. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, ob es sich um Pikettdienst inner- oder ausserhalb des Betriebs handelt.

Anlass zur Behandlung dieses Themas gibt ein aktuelles Urteil des Bundesgerichts (4A_11/2016). Danach ist bei Krankenanstalten und Kliniken auch dann von Pikettdienst im Betrieb auszugehen, wenn sich der Arbeitnehmer zwar nicht im Betrieb aufhalten aber innert sehr kurzer Frist intervenieren muss, und den Betrieb daher unter den gegebenen Umständen kaum verlassen und somit von seiner Freizeit nicht profitieren kann. Entsprechend gilt die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit als Arbeitszeit und ist, sofern es sich um Überzeitarbeit handelt, mit dem um 25 Prozent erhöhten Grundlohn zu entschädigen.

Sachverhalt

Der Arbeitsvertrag zwischen einer Klinik und dem stellvertretenden Chefarzt sah bei einem Beschäftigungsgrad von 100% eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden vor. Nachdem der stellvertretende Chefarzt das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, verlangte er von der Klinik eine Entschädigung für seine in der Zeit vom Juni 2006 bis Januar 2009 tatsächlich geleisteten Pikett-Einsätze als Überstunden bzw. Überzeit. Weiter machte er eine Entschädigung für geleistete Pikettdienste in der Zeit vom Oktober 2009 bis September 2011 geltend. Zur Begründung führte er aus, dass er sich während dieser Dienste in der Klinik habe aufhalten müssen, da er infolge Wechsels seines Wohnorts am 31. Juli 2009 die von der Klinik verlangte Interventionszeit von 15 Minuten sonst nicht mehr habe einhalten können. Damit habe die Zeit des Pikettdienstes als Arbeitszeit bzw. als Überzeit zu gelten, soweit die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 50 Stunden überschritten worden sei.

Pikettdienst inner- und ausserhalb des Betriebs

Die kantonalen Instanzen kamen zum Schluss, dass der stellvertretende Chefarzt keine höhere leitende Tätigkeit im Sinne von ArG 3 lit. d und ArGV1 9 ausgeübt habe. Vor Bundesgericht wird dies auch nicht mehr bestritten. Somit kommen vorliegend die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des Arbeitsgesetzes (ArG) zur Anwendung.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob sich der stellvertretende Chefarzt während seines Pikettdienstes in der Klinik aufhalten musste, rügte die Klinik sodann, die Vorinstanz habe zu Unrecht nicht ArGV2 8/2 angewendet, wonach Pikettdienste mit einer Interventionszeit von weniger als 30 Minuten lediglich zu einer Zeitgutschrift von 10 Prozent der inaktiven Zeit führen. Die Parteien hätten im vorliegenden Fall eine Interventionszeit von 15 Minuten vereinbart. Der stellvertretende Chefarzt habe sich während des Pikettdienstes somit nicht im Betrieb aufhalten müssen.

Gemäss ArGV1 15 stellt die gesamte im Pikettdienst zur Verfügung gestellte Zeit Arbeitszeit dar, wenn der Dienst im Betrieb geleistet wird. Wird der Pikettdienst hingegen ausserhalb des Betriebs geleistet, so ist die zur Verfügung gestellte Zeit soweit an die Arbeitszeit anzurechnen, als der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin tatsächlich zur Arbeit herangezogen wird. Die Wegzeit zu und von der Arbeit ist in diesem Fall an die Arbeitszeit anzurechnen. Dieser Unterscheidung zwischen Pikettdienst inner- und ausserhalb des Betriebs liegt die Überlegung zugrunde, dass der Arbeitnehmer ausserhalb des Betriebs mehr Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten hat. Gemäss dem Regelungsgedanken von ArGV1 15 ist daher nur von ausserhalb des Betriebs geleistetem Pikettdienst auszugehen, wenn der Arbeitnehmer diese Möglichkeiten auch nutzen kann. Dies ist nach Ansicht des Bundesgerichts zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer während des Pikettdienstes innert sehr kurzer Frist, z.B. innert 15 Minuten nach dem Anruf, intervenieren muss, den Betrieb daher unter den gegebenen Umständen kaum verlassen und somit auch nicht von seiner Freizeit profitieren kann. Entsprechend bestimmt ArGV2 8a/3, dass die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit als Arbeitszeit gilt, wenn der (inaktive) Pikettdienst wegen der kurzen Interventionszeit im Betrieb geleistet werden muss. Anders verhält es sich nur, wenn der Arbeitnehmer den Pikettdienst tatsächlich zu Hause verbringen kann, da ihm dies namentlich bezüglich des Sozialkontakts und der Freizeitbeschäftigungen verschiedene im Betrieb ausgeschlossene Möglichkeiten bietet und deshalb keine Gleichstellung mit dem im Betrieb erbrachten Pikettdienst gerechtfertigt ist. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer immerhin Anspruch auf eine Zeitgutschrift von 10 Prozent der inaktiven Pikettdienstzeit, wenn die Interventionszeit aus zwingenden Gründen weniger als 30 Minuten beträgt (ArGV2 8a/2).

Unter den gegebenen Umständen ist nach Ansicht des Bundesgerichts von einem Pikettdienst im Betrieb im Sinne von ArGV1 15/1 und ArGV2 8a/3 auszugehen, bei dem die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit als Arbeitszeit gilt. ArGV2 8a/2 findet hingegen keine Anwendung. 

Pikettdienst als Überzeitarbeit entschädigungspflichtig

Da es sich um Pikettdienst im Betrieb handelt, ist dieser gemäss ArG 13/1 als Überzeitarbeit entschädigungspflichtig, soweit die gesetzliche Höchstarbeitszeit überschritten worden ist. Mit Blick auf den Schutzgedanken von ArG 13 ist dabei der im Betrieb geleistete Pikettdienst nicht anders zu behandeln als ordentliche Arbeitszeit. Auch Pikett-Überzeit ist mit dem um 25 Prozent erhöhten Grundlohn zu entschädigen, denn sonst würde der mit ArG 13 angestrebte Anreiz für den Arbeitgeber, auf Überzeitarbeit zu verzichten oder die geleistete Überzeit mit Freizeit auszugleichen, vereitelt, wenn im Betrieb geleistete Pikett-Überzeit weniger teuer zu stehen käme als „ordentliche“ Überzeit.

Kommentar

Auch ausserhalb der Sonderregelung für Krankenanstalten und Kliniken in ArGV2 8a darf bei der Unterscheidung zwischen Pikettdienst inner- und ausserhalb des Betriebs unter Umständen nicht nur auf das örtliche Element abgestellt werden. Muss sich ein Arbeitnehmer zwar nicht im Betrieb aufhalten, aber innert sehr kurzer Frist, z.B. innert 15 Minuten nach dem Anruf, intervenieren, und kann er deshalb den Betrieb kaum verlassen und somit von seiner Freizeit nicht profitieren, haben (gemäss Wegleitung des SECO) die kantonalen Behörden unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden, ob es sich um „gewöhnliche“ Arbeitszeit oder um Pikettdienst handelt.

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