Entschädigung für Bereitschaftsdienst

1. November 2017

Entschädigung für Bereitschaftsdienst

Anlass zur vorliegenden Ausgabe gibt das Urteil 4A_334/2017 des Bundesgerichts, in dem es an seiner langjährigen Praxis festhält, dass der Bereitschaftsdienst bei echter Arbeit auf Abruf zu entschädigen ist, wenn auch nicht gleich hoch wie die Haupttätigkeit. Die Entschädigung kann vertraglich sogar in die Hauptleistung eingeschlossen werden. Wurde keine vertragliche Regelung getroffen, bestimmt der Richter diese nach Üblichkeit oder ansonsten nach billigem Ermessen.

Abgrenzung zur unechten Arbeit auf Abruf

Arbeit auf Abruf ist eine relativ verbreitete Form der flexiblen Beschäftigung und dient dazu, normale Schwankungen des Arbeitsanfalls aufzufangen. Bei dieser im Gesetz nicht geregelten Art von Bereitschaftsdienst gilt es zu unterscheiden zwischen der echten und der unechten Arbeit auf Abruf. Bei der echten Arbeit auf Abruf sind die Lage der Arbeitszeit, deren Dauer oder beides nicht im Voraus bestimmt oder bestimmbar. Der Arbeitgeber kann einseitig bestimmen, wann und wie lange der effektive Arbeitseinsatz erfolgt. Bei der unechten Arbeit auf Abruf (auch Aushilfs- oder Gelegenheitsarbeit genannt) hingegen werden diese Daten durch Parteivereinbarung festgelegt, ohne dass für den Arbeitnehmer eine Einsatzpflicht besteht, d.h. der Arbeitnehmer kann einen Einsatz auch ablehnen. Die Frage der Entschädigung für Bereitschaftsdienst stellt sich also lediglich bei der echten Arbeit auf Abruf, da der Arbeitnehmer dabei verpflichtet ist, einen Abruf des Arbeitgebers anzunehmen. Wenn im Rahmen von unechter Arbeit auf Abruf (z.B. Einsätze für eine Spitexorganisation) die einzelnen Einsätze als Bereitschaftsdienst geleistet werden, sind diese als echte Arbeit auf Abruf zu qualifizieren und deshalb ebenfalls entsprechend zu entschädigen.

Abgrenzung zum Pikettdienst

Die (echte) Arbeit auf Abruf ist abzugrenzen vom Pikettdienst. Bei dieser im Gesetz (ArGV1 14,15) geregelten Art von Bereitschaftsdienst hält sich der Arbeitnehmer neben der normalen Arbeit für allfällige Arbeitseinsätze bereit für die Behebung von Störungen, die Hilfeleistung in Notsituationen, für Kontrollgänge oder für ähnliche Sonderereignisse. Wird also normale Arbeit geleistet oder ausschliesslich in Bereitschaft gearbeitet, liegt kein Pikettdienst vor.

Echte Arbeit auf Abruf

Im eingangs erwähnten Urteil des Bundesgerichts waren sich die Parteien einig, dass der Arbeitnehmer im Falle, dass die Leiterin des Bereichs „Vertretung und Vertrieb“ ausfallen sollte, deren Stellvertretung übernehmen sollte. Zwischen den Parteien streitig war hingegen die rechtliche Qualifikation des von ihnen abgeschlossenen Vertrags und die gestützt darauf vom Arbeitnehmer geltend gemachte Forderung für behaupteten Bereitschaftsdienst in den Monaten Januar bis Mai 2015.

Die Vorinstanz kam zum Schluss, der Arbeitnehmer hätte im Fall eines Arbeitseinsatzes, zu dem es nie kam, Einfluss auf dessen konkrete Ausgestaltung nehmen können. In zeitlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer ausserhalb der üblichen Bürozeiten weder hätte telefonisch erreichbar sein noch zu solchen Zeiten hätte arbeiten müssen. Schliesslich habe er sich nicht in einer bestimmten Distanz zum Betrieb aufhalten müssen. Insgesamt habe der Arbeitnehmer nicht dargelegt, inwiefern die allenfalls zu leistende Rufbereitschaft ihn in seiner Zeitgestaltung beschränkt haben solle. Eine Entschädigung sei daher nicht geschuldet.

Nach Ansicht des Bundesgerichts hat sich die Vorinstanz nicht zur rechtlichen Qualifikation des Vertrags geäussert. Es erscheint fraglich, ob die Parteien nicht bloss unechte Arbeit auf Abruf vereinbart hatten; in diesem Fall wäre der Bereitschaftsdienst nicht zu entschädigen. Gemäss Bundesgericht reichen die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz nicht aus, um die offen gelassene Frage, wie der Vertrag zu qualifizieren ist, zu beantworten. Deshalb hat es die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, um über den Anspruch auf Entschädigung und gegebenenfalls über deren Höhe zu entscheiden.

Das Bundesgericht hat es aber nicht damit bewenden lassen, sondern hat vielmehr seine bisherige Praxis zur echten Arbeit auf Abruf bestätigt (Grundsatzentscheid BGE 124 III 249). Danach ist der vom Arbeitnehmer geleistete Bereitschaftsdienst entschädigungspflichtig. Da aber einerseits der Arbeitgeber an diesem Dienst regelmässig ein geringeres betriebswirtschaftliches Interesse hat als an der Tätigkeit, für welche er den Arbeitnehmer eigentlich angestellt hat, und andererseits der Arbeitnehmer ausserhalb des Betriebs geleistete Bereitschaftszeit für arbeitsfremde Verrichtungen nutzen kann, muss die Rufbereitschaft – abweichende Vereinbarung vorbehalten – nicht gleich hoch wie die Haupttätigkeit entlöhnt werden. Die Entschädigung für den Bereitschaftsdienst kann einzel- oder gesamtarbeitsvertraglich auch in den Lohn für die Hauptleistung eingeschlossen werden. Wurde keine Entschädigung für Bereitschaftsdienst vertraglich vereinbart, bestimmt der Richter diese nach Üblichkeit oder ansonsten nach billigem Ermessen.

Welche Entschädigung ist geschuldet bei echter Arbeit auf Abruf?

Gemäss Bundesgericht ist die Beschränkung des Arbeitnehmers in seiner freien Zeitgestaltung bei der Höhe der Entschädigung zu berücksichtigen. Doch führt auch eine nur geringe Beschränkung bei echter Arbeit auf Abruf nicht zum gänzlichen Wegfall der Entschädigungspflicht.

Zur konkreten Höhe der Entschädigung hat sich das Bundesgericht bisher nicht ausgesprochen. Es geht von der totalen Vertragsfreiheit aus, was in der Literatur teilweise bestritten wird. Auch gemäss Urteil GS.2013.32 des Zivilgerichts Basel-Stadt besteht weitgehende Vertragsfreiheit, sofern kein GAV anwendbar ist. Im konkreten Fall ging es um eine Betreuerin in einer privaten Spitexorganisation, welche u.a. eine Entschädigung für die dauernde tägliche Arbeitsbereitschaft zwischen 20 und 7 Uhr geltend machte. Da diesbezüglich vertraglich nichts geregelt war, musste der Richter einen angemessenen Stundenlohn bestimmen. Er nahm eine „starke persönliche Einschränkung der Mitarbeiterin“ an (dauernde Aufenthaltspflicht in der Wohnung, um im Notfall unmittelbar eingreifen zu können) und setzte deshalb einen relativ hohen Stundenansatz von CHF 8.87 (50% des Stundenlohns für die effektive Arbeitszeit) fest.

Kommentar

Der Arbeitgeber ist gut beraten, in Fällen von echter Arbeit auf Abruf vertraglich die Höhe der Entschädigung für den Bereitschaftsdienst (Stundenansatz oder Pauschale) zu vereinbaren oder festzuhalten, dass der Bereitschaftsdienst im vereinbarten Lohn eingeschlossen ist. Zusätzlich ist darauf zu achten, dass in Fällen von tatsächlichem Abruf die Gesundheitsschutzbestimmungen nach Arbeitsgesetz (v.a. Pausen, Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten) eingehalten werden.

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