Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs

3. Oktober 2011

Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs

Hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber einen Schaden zugefügt, und möchte der Arbeitgeber gestützt auf OR 321e Schadenersatz geltend machen, ist hinsichtlich des Zeitpunkts der Geltendmachung Vorsicht geboten. Gemäss Bundesgericht (Entscheid 4A_351/2011 vom 5. September 2011) kann eine vorbehaltlose letzte Lohnabrechnung – auch nach zuvor wiederholt geäusserten Vorbehalten – dazu führen, dass ein Verzicht des Arbeitgebers auf Schadenersatzforderungen angenommen wird.

Sachverhalt

Die schadensbegründenden Ereignisse, nämlich das Verursachen von Unfällen in alkoholisiertem Zustand, ereigneten sich am 14. Oktober 2004 bzw. am 29. Januar 2007. Vier Tage nach dem ersten Unfall hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer geschrieben, er werde bei dessen Haftpflichtversicherung Ansprüche anmelden, da er sich nicht an das generelle Alkoholverbot gehalten habe. In der Vereinbarung vom 30. Januar 2007 hat sich der Arbeitgeber vorbehalten, die entstandenen Kosten dem Arbeitnehmer zu verrechnen. Im Schreiben zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses vom 8. August 2008 hat der Arbeitgeber erwähnt, dass für ihn die Vereinbarung vom 30. Januar 2007 weiterhin Gültigkeit habe und dass er sich Schadenersatzforderungen vorbehalte. Am 14. August 2008 ist die letzte Lohnabrechnung ohne Vorbehalt ausgestellt worden. Im Schreiben vom 12. September 2008 an den Anwalt des Arbeitnehmers hat sich der Arbeitgeber erneut Schadenersatzforderungen gegen den Arbeitnehmer vorbehalten.

Das Arbeitsgericht beurteilte die fristlose Kündigung als ungerechtfertigt, anerkannte aber die vom Arbeitgeber zur Verrechnung gestellte Schadenersatzforderung. Das Obergericht Luzern hingegen anerkannte die Schadenersatzforderung nicht, da es annahm, der Arbeitgeber habe konkludent darauf verzichtet.

Forderungsverzicht

Das Gesetz enthält keine Bestimmungen darüber, wann ein Schadenersatzanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer spätestens geltend gemacht werden muss. Namentlich enthält das Bundesrecht keine besonderen Regeln über die Verjährung solcher Forderungen, so dass grundsätzlich die allgemeine zehnjährige Frist für Vertragsverletzungen gilt. Von einem vorzeitigen Untergang der Forderung ist nur auszugehen, wenn der Arbeitnehmer nach den allgemeinen Regeln des Obligationenrechts über den Vertragsabschluss aus dem Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben auf einen vertraglichen Verzicht nach OR 115 schliessen kann.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann der Arbeitnehmer von einem Verzicht ausgehen, wenn es der Arbeitgeber unterlässt, Ansprüche, die ihm dem Umfang oder dem Grundsatz nach bekannt sind, vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, insbesondere unter vorbehaltloser Auszahlung des letzten Lohns. Dabei trägt der Arbeitnehmer die Beweislast für die Tatsachen, die auf einen Verzicht schliessen lassen. Die weitergehende Ansicht und Praxis einiger kantonaler Gerichte, der Arbeitgeber müsse in Kenntnis aller Voraussetzungen der Schadenersatzforderung seine Forderung bereits bei der nächsten Lohnzahlung durch Verrechnung geltend machen oder wenigstens einen entsprechenden Vorbehalt anbringen, andernfalls sein Anspruch in der Regel als verwirkt gelte, wird demgegenüber von einem Teil der Lehre als zu streng abgelehnt.

Vorbehalte, Zeitpunkt der Geltendmachung

Die Erklärung, dass Schadenersatzansprüche aus einem bestimmten Ereignis vorbehalten bleiben, genügt, um zu verhindern, dass beim Arbeitnehmer die berechtigte Erwartung entsteht, der Arbeitgeber verzichte auf Schadenersatz. Es braucht für den Vorbehalt keine Bezifferung, Verrechnung oder gar Klage. Jedoch muss der Arbeitgeber ihm bekannte Ersatzforderungen – auch wenn er sie sich vorbehalten hat oder wegen Unpfändbarkeit des Lohnanspruchs nicht hat verrechnen können – auf alle Fälle spätestens bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellen, andernfalls Verzicht anzunehmen ist. Angesichts der expliziten Vorbehalte in der Vereinbarung vom 30. Januar 2007 und der fristlosen Kündigung vom 8. August 2008 konnte und durfte der Arbeitnehmer im zu beurteilenden Fall zunächst nicht davon ausgehen, dass der Arbeitgeber auf Schadenersatz verzichten werde. Als dieser dann aber in der letzten Lohnabrechnung vom 14. August 2008 dennoch keine Schadenersatzforderung zur Verrechnung brachte und auch den allgemeinen Vorbehalt nicht erneuerte, änderte sich dies. Gemäss Bundesgericht ist vertretbar anzunehmen, mit der vorbehaltlosen Auszahlung des letzten Lohns habe der Arbeitgeber konkludent zu verstehen gegeben, einen Schlussstrich zu ziehen und trotz der zuvor angebrachten Vorbehalte nun doch auf Schadenersatz zu verzichten.

Der Arbeitgeber brachte vor, selbst wenn ein konkludenter Verzicht anzunehmen wäre (was bestritten werde), müsste angesichts seines Verhaltens und insbesondere seines Schreibens vom 12. September 2008 an den Rechtsvertreter des Arbeitnehmers geprüft werden, ob dieser nicht unter einer Bedingung gestanden sei. Es entspreche dem praktischen Bedürfnis des Arbeitgebers, sich Forderungen vor allem für den Fall einer nachvertraglichen Arbeitsstreitigkeit vorzubehalten. Gemäss Bundesgericht kann dieser Überlegung grundsätzlich gefolgt werden. Doch im zu beurteilenden Fall wurde der Vorbehalt im Kündigungsschreiben sehr allgemein und nicht unter dieser Bedingung formuliert, obwohl der Arbeitgeber nicht ausschliessen konnte, dass die fristlose Entlassung angefochten werden könnte. Es bestand daher gemäss Bundesgericht kein Grund für den Arbeitnehmer anzunehmen, er riskiere bei einer allfälligen Klage gegen seinen Arbeitgeber, dass dieser seinerseits mit Gegenforderungen reagiere. Vielmehr erfolgte die letzte Lohnabrechnung vorbehaltlos. Erst im Nachgang zur letzten vorbehaltlosen Lohnauszahlung, nämlich im Schreiben vom 12. September 2008 an den Rechtsvertreter des Arbeitnehmers, behielt sich der Arbeitgeber vor, Schadenersatzforderungen einzufordern, sollte der Arbeitnehmer die Kündigung anfechten. Dann aber konnte er auf den Verzicht, der in der letzten vorbehaltlosen Lohnabrechnung zu erblicken ist, nicht mehr zurückkommen.  

Kommentar

Um zu verhindern, dass allenfalls ein Forderungsverzicht angenommen wird und bestehende Schadenersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden können, ist nicht nur anlässlich eines schadensbegründenden Ereignisses eine Schadenersatzforderung explizit vorzubehalten, sondern der Vorbehalt ist auch anlässlich der letzten Lohnabrechnung zu formulieren, wenn der Schaden nicht direkt verrechnet werden kann.




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