Lohnfortzahlung nach Vertragsende?

Die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung infolge Krankheit gilt grundsätzlich nur bis maximal zum Vertragsende. Oft haben die Vertragsparteien jedoch eine Verlängerung der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht vertraglich vereinbart. Da im schweizerischen Recht der zeitliche Kündigungsschutz und die Lohnfortzahlungspflicht nicht koordiniert sind, stellt sich regelmässig die Frage, wie die Vertragsparteien das Verhältnis zwischen Kündigungsschutz und Lohnfortzahlungspflicht hinsichtlich einer allfälligen Lohnfortzahlung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses regeln wollten. Die vorliegende Ausgabe zeigt auf, was es bei der Ausarbeitung einer vertraglichen Regelung und bei der Information über ein allfälliges Übertrittsrecht von der Kollektiv- in die Einzeltaggeldversicherung zu beachten gilt. 

Vertragliche Verlängerung der Lohnfortzahlungspflicht

Gemäss OR 324a hat der Arbeitgeber den Lohn während einer beschränkten Zeit (Basler-, Berner-, Zürcher-Skala) weiterzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer unverschuldet krankheitsbedingt an der Arbeitsleistung verhindert ist. Diese gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht gilt grundsätzlich nur soweit und solange ein Arbeitsverhältnis besteht. Die Vertragsparteien können jedoch eine für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertige oder sogar günstigere Regelung schriftlich vereinbaren. Eine solche kann namentlich in der Verpflichtung des Arbeitgebers bestehen, eine Kollektivtaggeldversicherung mit einem Versicherer abzuschliessen, die während einer längeren Dauer den Lohn bzw. einen Teil des Lohnes weiter bezahlt. Eine solche Verpflichtung kann sich auch aus einem anwendbaren Gesamtarbeitsvertrag ergeben.

Streitigkeiten ergeben sich oft bei folgender Konstellation: Der Arbeitnehmer wird während der Dauer des Arbeitsverhältnisses infolge Krankheit arbeitsunfähig, der Arbeitsvertrag endet, weil der Arbeitnehmer gekündigt hat oder bei einer Arbeitgeberkündigung die Sperrfrist abgelaufen ist, und der Arbeitnehmer bleibt über das Vertragsende hinaus arbeitsunfähig. Hier stellt sich dann die Frage, ob der Arbeitnehmer über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus noch Lohnfortzahlungsansprüche geltend machen kann. Entscheidend ist dabei die vertragliche Regelung und bei Unklarheit deren Auslegung. Eine schriftliche Vereinbarung, die klar eine Lohnfortzahlung des Arbeitgebers und auch der Kollektivtaggeldversicherung über das Vertragsende hinaus ausschliesst, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Doch nicht immer sind die entsprechenden Vertragsbestimmungen klar abgefasst. Dann gilt es, mittels Vertragsauslegung den übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien festzustellen. Bleibt eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien auf Grund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten.  

Abschluss einer Kollektivtaggeldversicherung vereinbart

Soll die vertragliche Verlängerung der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers durch eine Versicherung gewährleistet werden, indem nicht der Lohn weiterbezahlt wird, sondern Taggeldleistungen als Verdienstersatz erbracht werden, darf gemäss Bundesgericht davon ausgegangen werden, dass die Versicherungsleistungen auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus erbracht werden sollen, sei es, dass die Kollektivtaggeldversicherung unverändert weiter besteht oder dass ein Übertritt in eine gleichwertige Einzeltaggeldversicherung erfolgen kann. 

Dem Urteil des Bundesgerichts 4A_50/2011 vom 6. April 2011 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Parteien hatten den Abschluss einer Salärversicherung vereinbart, wobei sich der Arbeitgeber zur Übernahme der Prämien verpflichtete und dem Arbeitnehmer für den Fall nachgewiesener krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ohne Karenzfrist Leistungen von 100% des Lohnes für 730 Tage zusicherte. Zudem wurde für das Vertragsende ein Übertrittsrecht von der Kollektivversicherung in die Einzelversicherung vereinbart. Unter diesen Umständen war der Arbeitnehmer gemäss Bundesgericht nach Treu und Glauben zur Annahme berechtigt, die Versicherungsleistung umfasse seinen vollen Lohn, welcher ihm dann auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist entrichtet wurde. Dieselben Leistungen durfte der Arbeitnehmer nach dem oben Ausgeführten für den Fall erwarten, dass die versprochenen Versicherungsleistungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht ausgeschöpft und die Leistungsvoraussetzungen gegeben sein sollten. Dies ergibt sich namentlich aus seinem Recht auf Fortführung der Kollektivversicherung als Einzelversicherung, ohne vorgesehene Leistungskürzung. Damit vermittelte der Arbeitgeber objektiv den Eindruck, die Einzeltaggeldversicherung werde der Kollektivtaggeldversicherung gleichwertig sein. Umfasste diese und damit auch die weitergeführte Einzelversicherung entgegen dem vom Arbeitgeber erweckten Anschein nur Taggeldleistungen von 80% des Lohnes, hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gemäss Bundesgericht die Differenz zur berechtigterweise erwarteten Lohnersatzleistung zu vergüten.

Übertritt in die Einzeltaggeldversicherung nach VVG

Haben die Vertragsparteien eine Kollektivtaggeldversicherung nach Versicherungsvertragsgesetz (VVG) mit Übertrittsrecht am Vertragsende in die Einzeltaggeldversicherung abgeschlossen, hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gemäss Bundesgericht (Entscheid 4A_186/2010 vom 3. Juni 2010) am Ende des Arbeitsverhältnisses nicht nur auf die Möglichkeit des Übertritts aufmerksam zu machen, sondern auch auf die einzuhaltende Frist. Es stützt sich dabei auf die in OR 331/4 vorgesehene Informationspflicht des Arbeitgebers. Macht der Arbeitnehmer mangels genügender Information sein Übertrittsrecht zu spät geltend und wird der Übertritt von der Versicherung deshalb zurückgewiesen, wird der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegenüber entschädigungspflichtig.

Kommentar

Um allfällige Auslegungsfragen mit der entsprechenden Rechtsunsicherheit verhindern zu können, empfiehlt sich eine klare schriftliche Regelung. Bei der Vereinbarung einer Kollektivtaggeldversicherung als Ersatzlösung für die gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall empfiehlt sich festzuhalten, dass der Arbeitnehmer die Versicherungsbestimmungen, die einen integrierenden Bestandteil des Vertrages bilden, zur Kenntnis genommen und akzeptiert hat, dass der Arbeitgeber von weiteren Lohnzahlungspflichten gemäss OR 324a befreit ist und dass die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers in jedem Fall mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses endet. 

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