Regressprivileg des Arbeitgebers

1. März 2019

Regressprivileg des Arbeitgebers

Erleidet ein Arbeitnehmer einen Berufsunfall, steht dem Versicherungsträger ein Rückgriffsrecht gegen den Arbeitgeber der versicherten Person, gegen dessen Familienangehörige und gegen dessen Arbeitnehmer nur zu, wenn sie den Versicherungsfall absichtlich oder grobfahrlässig herbeigeführt haben. Kürzlich hatte das Bundesgericht (Urteil 4A_442/2018) zu entscheiden, ob dieses Regressprivileg im Rahmen des Personalverleihs auch für den Einsatzbetrieb gilt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der Einsatzbetrieb nicht zum Kreis der Begünstigten gehört. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Definition des Arbeitgebers, der Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und Zweck des Regressprivilegs des Arbeitgebers, obschon aus der Gesetzessystematik geschlossen werden könnte, die tatsächlichen Betriebsverhältnisse seien für die Qualifikation als Arbeitgeber mitentscheidend und der Einsatzbetrieb könne sich als faktischer Arbeitgeber auf ATSG 75/2 berufen. Entsprechend musste die Einsatzfirma der SUVA die von ihr erbrachten Leistungen (Heilungskosten und Erwerbsausfallschaden) zurückerstatten.

Kein Regressprivileg für den Einsatzbetrieb

Eine Personalverleiherin hat die obligatorische Unfallversicherung für ihr Personal bei der SUVA abgeschlossen. Mit Verleihvertrag vom 28. April 2014 lieh sie einen Zimmermann-Hilfsarbeiter an die A. AG (Einsatzfirma) aus. Am 7. Oktober 2014 wurde dieser versicherte Mitarbeiter bei Abbauarbeiten von einem herunterfallenden Dachbalken getroffen und stürzte anschliessend rund drei Meter in die Tiefe. Dabei zog er sich beidseits einen Mittelfussbruch zu. Die Versicherung erbrachte in der Folge Leistungen gemäss UVG. Namentlich kam sie für Heilungskosten in der Höhe von Fr. 32‘436.70 im Zeitraum vom 7. Oktober 2014 bis 7. März 2015 sowie Erwerbsausfall in der Höhe von Fr. 43‘570.30 im Zeitraum vom 10. Oktober 2014 bis 15. Oktober 2015 auf. Am 11. Juli 2017 reichte die Unfallversicherung beim Handelsgericht des Kantons Bern eine Teilklage gegen die Einsatzfirma ein. Sie stellte unter Vorbehalt der Mehrforderung die Begehren, die Einsatzfirma sei zu verpflichten, ihr für bisherige Heilungskosten Fr. 32‘436.70 sowie für den bisherigen Erwerbsausfallschaden Fr. 43‘570.30 nebst 5% Zins zu bezahlen. Dabei berief sie sich auf ihr Rückgriffsrecht gemäss Art. 72 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG). An der Hauptverhandlung schlossen die Parteien einen Teilvergleich, wonach die Einsatzfirma anerkannte, der SUVA gemäss ATSG 72/2 Fr. 68‘406.30 nebst Zins zu schulden für den Fall, dass sie sich nicht auf das Regressprivileg gemäss ATSG 75/2 berufen kann. Zudem beantragten die Parteien dem Gericht, das Verfahren unter Berücksichtigung dieses Teilvergleichs weiterzuführen. Mit Entscheid vom 15. Mai 2018 verurteilte das Handelsgericht des Kantons Bern die Einsatzfirma, der SUVA Fr. 68‘406.30 nebst Zins von 5% zu bezahlen. Das Gericht kam zum Schluss, der Einsatzbetrieb könne sich gegenüber der SUVA nicht auf das Regressprivileg berufen. Der Einsatzbetrieb hingegen war der Ansicht, sowohl der Wortlaut als auch die Systematik, die Entstehungsgeschichte und der Sinn und Zweck von ATSG 75/2 ergäben, dass der Einsatzbetrieb im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses unter den Arbeitgeberbegriff von ATSG 75/2 falle.

Auslegung nach Wortlaut

Nach dem Wortlaut von ATSG 75/2 kann sich der „Arbeitgeber der versicherten Person“ auf das Regressprivileg berufen. Arbeitgeber im Sinne von ATSG 11 ist, wer den Lohn bezahlt und entsprechend zur Leistung von Sozialversicherungsabgaben verpflichtet ist. Mit dieser Umschreibung wurde auch eine möglichst eindeutige Erfassung des Beitragsschuldners angestrebt. Gemäss Bundesgericht spricht ATSG 75/2 dafür, dass der vertraglich mit dem Versicherten gebundene Verleiher „Arbeitgeber der versicherten Person“ ist, während der Träger des Einsatzbetriebs, in dem der Versicherte tatsächlich Arbeit verrichtet, in dessen Betriebsstruktur er eingebunden ist, dessen unmittelbarer Weisung er untersteht und der auch faktisch mit dem Entgelt an den Verleiher die Sozialversicherungsabgaben entrichtet, gegenüber der versicherten Person zwar tatsächlich in gewisser Hinsicht Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt, im Vergleich zum Verleiher aber nicht Arbeitgeber ist.

Auslegung nach Gesetzessystematik

UVG 82/1 verpflichtet den Arbeitgeber, zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den gegebenen Verhältnissen angemessen sind. Nach UVG 81/1 gelten die Vorschriften über die Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten für alle Betriebe, die Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigen. Art. 10 der Unfallverhütungsverordnung (VUV) bestimmt dazu: „Der Arbeitgeber, der in seinem Betrieb Arbeitskräfte beschäftigt, die er von einem anderen Arbeitgeber ausleiht, hat hinsichtlich der Arbeitssicherheit gegenüber diesen die gleichen Pflichten wie gegenüber den eigenen Arbeitnehmern.“ Die systematische Auslegung weist gemäss Bundesgericht, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, eher darauf hin, dass als Arbeitgeber im Personalverleih auch der Einsatzbetrieb, der den vom Verleiher angestellten Versicherten tatsächlich beschäftigt, als Arbeitgeber der versicherten Person verstanden werden kann.

Auslegung nach Entstehungsgeschichte 

Das Bundesgericht hatte unter altem Recht mit eingehender Begründung verworfen, dass sich der Einsatzbetrieb auf das Haftungs- und Regressprivileg berufen könne. Mit dem Erlass von ATSG 75/2 (in Kraft seit 1.1.2003) schlug der Bundesrat bewusst eine Ablösung der bisherigen Haftungsprivilegien durch Regressprivilegien vor. Wäre bei dieser Gelegenheit eine Erweiterung des Kreises der Begünstigten beabsichtigt worden, so wäre dies ausdrücklich angeordnet oder anders zum Ausdruck gebracht worden. Die Entstehungsgeschichte spricht somit klar dafür, dass der Kreis der begünstigten Arbeitgeber im Rahmen des Regressprivilegs nach ATSG 75/2 gegenüber dem früheren Haftungsprivileg nicht erweitert werden sollte.

Auslegung nach Sinn und Zweck

Nach altem Recht wurde die Beschränkung der Haftung des Arbeitgebers insbesondere durch die ihm obliegende Pflicht zur Zahlung der Prämien der Betriebsunfallversicherung für die Arbeitnehmer gerechtfertigt. Daran hat sich mit der Beschränkung der Begünstigung auf ein Regressprivileg nichts geändert. In der Literatur wird denn auch eine Ausweitung des Kreises der privilegierten Arbeitgeber über denjenigen der altrechtlichen Begünstigten hinaus nicht befürwortet. Gemäss Bundesgericht ist es vielmehr dem Träger des Einsatzbetriebs zuzumuten, eine Haftpflichtversicherung abzuschliessen, zumal sich auch der Arbeitgeber dann nicht auf das Regressprivileg berufen kann, wenn er obligatorisch haftpflichtversichert ist (ATSG 75/3).

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