Obligatorische Unfallversicherung

1. Oktober 2015

Obligatorische Unfallversicherung

Besteht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Arbeitsvertrag gemäss OR 319 ff . oder ein öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis, gibt es kaum Zweifel, dass es sich um einen Arbeitnehmer gemäss UVG handelt und der Arbeitnehmer somit nach den UVG-Bestimmungen obligatorisch versichert ist. Das UVG schliesst aber im Interesse eines umfassenden Versicherungsschutzes auch Personen ein, deren Tätigkeit mangels Erwerbsabsicht nicht als Arbeitnehmertätigkeit nach OR 319 ff . einzustufen ist, wie beispielsweise Volontärverhältnisse, bei welchen der für ein eigentliches Arbeitsverhältnis typische Lohn in der Regel weder vereinbart noch üblich ist. Von der obligatorischen Unfallversicherung werden somit auch Tätigkeiten erfasst, welche die Begriffsmerkmale des Arbeitnehmers im Arbeitsvertragsrecht nicht vollumfänglich erfüllen.

Wer ist obligatorisch nach UVG versichert?

Nach UVG 1a/1 sind die in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer, einschliesslich der Heimarbeiter, Lehrlinge, Praktikanten, Volontäre sowie der in Lehr- oder Invalidenwerkstätten tätigen Personen, obligatorisch nach den Bestimmungen des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) versichert. In Anwendung von UVG 1a/2 kann der Bundesrat die Versicherungspflicht ausdehnen auf Personen, die in einem arbeitsvertragsähnlichen Verhältnis stehen. Gemäss UVV 1a/1 sind Personen, die zur Abklärung der Berufswahl bei einem Arbeitgeber tätig sind, auch obligatorisch versichert.

Arbeitnehmerbegriff im UVG ist weiter als im Arbeitsvertragsrecht

Das UVG umschreibt den Begriff des Arbeitnehmers, an den es für die Unterstellung unter die obligatorische Versicherung anknüpft, nicht. Die Rechtsprechung hat im Sinne leitender Grundsätze als Arbeitnehmer gemäss UVG bezeichnet, wer um des Erwerbes oder der Ausbildung willen für einen Arbeitgeber, mehr oder weniger untergeordnet, dauernd oder vorübergehend tätig ist, ohne dabei ein eigenes wirtschaftliches Risiko tragen zu müssen. Da sich jedoch aus diesen Grundsätzen allein noch keine einheitlichen, schematisch anwendbaren Lösungen ableiten lassen, ist die Arbeitnehmereigenschaft jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

Im Regelfall besteht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Arbeitsvertrag gemäss OR 319 ff. oder ein öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis. Sind solche Rechtsverhältnisse gegeben, besteht kaum Zweifel, dass es sich um einen Arbeitnehmer gemäss UVG handelt. Das Vorhandensein eines Arbeitsvertrags ist jedoch nicht Voraussetzung für die Versicherteneigenschaft gemäss UVG 1a/1. Liegt weder ein Arbeitsvertrag noch ein öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis vor, ist unter Würdigung der wirtschaftlichen Umstände in ihrer Gesamtheit zu beurteilen, ob die Arbeitnehmereigenschaft gegeben ist. Dabei ist zu beachten, dass das UVG im Interesse eines umfassenden Versicherungsschutzes auch Personen einschliesst, deren Tätigkeit mangels Erwerbsabsicht nicht als Arbeitnehmertätigkeit nach OR 319 ff. einzustufen ist, wie beispielsweise Volontärverhältnisse, bei welchen der für ein eigentliches Arbeitsverhältnis typische Lohn in der Regel weder vereinbart noch üblich ist. Wo die unselbständige Tätigkeit ihrer Natur nach nicht auf die Erzielung eines Einkommens, sondern auf Ausbildung ausgerichtet ist, kann eine Lohnabrede somit kein ausschlaggebendes Kriterium für oder gegen den Unfallversicherungsschutz sein. Von der obligatorischen Unfallversicherung werden somit auch Tätigkeiten erfasst, welche die Begriffsmerkmale des Arbeitnehmers nicht vollumfänglich erfüllen. Der Begriff des Arbeitnehmers gemäss UVG 1a/1 ist damit weiter als im Arbeitsvertragsrecht.

Beispiel aus der Gerichtspraxis

Dem Urteil 141 V 313 des Bundesgerichts lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Eine Medizinstudentin absolvierte bei einem Arzt ein Einzeltutoriat. Eines Morgens verunfallte sie kurz vor Arbeitsbeginn in unmittelbarer Nähe der Arztpraxis. Sie hatte ein Lehrbuch und ein Stethoskop bei sich und befand sich offensichtlich auf dem Arbeitsweg. Gemäss Bundesgericht qualifizierte die Vorinstanz das Rechtsverhältnis zu Recht als Innominatvertrag mit den essenziellen Wesenszügen eines Arbeitsvertrags, insbesondere denjenigen der Arbeitsleistung im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses. Dieses ist im vorliegenden Fall bei der Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von UVG 1a/1 unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls von entscheidender Bedeutung. Die Medizinstudentin war in der Hausarztpraxis in arbeitnehmerähnlicher Stellung eingebunden. Sie hatte unter Anleitung oder selbständig auch praktische Tätigkeiten durchzuführen. Ziel des Einzeltutoriats ist die aktive Mitarbeit im Berufsfeld des Tutors. Es sollen der direkte Umgang und die verantwortliche Arbeit mit kranken Menschen erlernt werden. Dabei sollen insbesondere auch untersuchungstechnische Fertigkeiten geübt werden wie zum Beispiel Blutentnahmen oder Untersuchungen von Blut und Urin im Labor. Dem Lernbericht der Studentin ist zu entnehmen, dass sie bei den Patienten Anamnesen erhob und teilweise selbständig Untersuchungen (etwa von Herz und Lungen), Blutdruckmessungen, Reflex-Tests, Elektrokardiogramme, Laborarbeiten und Impfungen durchführte oder auch einen Notfallpatienten betreute. Ihre Tätigkeiten für den Arzt standen wie bei einem Assistenten unter dessen Anleitung und Weisungsbefugnis und gingen über blosse Handreichungen im Sinne von Gefälligkeiten weit hinaus. Dass die Beschäftigung von der Universität als „Tutoriat“ bezeichnet wird, ändert nichts daran, dass die Studentin in der Privatpraxis des Arztes eine praktische Tätigkeit ausgeübt hat. Die Studentin räumte ein, dass sie in der Arztpraxis namentlich auch mit technischen Geräten umzugehen und der Arzt ihr gegenüber eine erhöhte Sorgfalts- und Aufsichtspflicht hatte. Das Bedürfnis nach UVG-Schutz einer Praktikantin in einer Arztpraxis ist mit Blick auf das Ziel des UVG offensichtlich, denn mit der untergeordneten, arbeitnehmerähnlichen Stellung der Studentin in diesem Betrieb war sie auch den entsprechenden Gefahren ausgesetzt. Die Versicherteneigenschaft gemäss UVG 1a/1 setzt gemäss Bundesgericht weder einen (schriftlichen) Arbeitsvertrag, noch eine Lohnzahlung, noch eine Erwerbsabsicht voraus, sondern es genügt, dass sich die Studentin zu Ausbildungszwecken in der Arztpraxis aufgehalten hat. Zusammengefasst ist die Beschäftigung der Medizinstudentin in der Hausarztpraxis gemäss Bundesgericht als Praktikum im Sinne von UVG 1a/1 zu qualifizieren, und sie war somit obligatorisch versichert. 

Leistungspflicht und versicherter Verdienst bei Versicherten mit mehreren Arbeitgebern

Erleidet ein Versicherter, der bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt ist, einen BU, so ist der Versicherer jenes Arbeitgebers leistungspflichtig, in dessen Dienst der Versicherte verunfallt ist. Bei NBU ist der Versicherer jenes Arbeitgebers leistungspflichtig, bei dem der Versicherte vor dem Unfall zuletzt tätig und für NBU versichert war (UVV 99). Der versicherte Verdienst bemisst sich grundsätzlich nach dem Gesamtlohn (UVV 23/5). Dies gilt jedoch gemäss Bundesgericht (Urteil 8C_434/2014) nur für Einkommen, für welche eine Versicherungsdeckung besteht. Somit wird bei einem NBU ein Nebeneinkommen, das nicht obligatorisch gegen NBU versichert ist, nicht zum versicherten Verdienst gerechnet 

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