Kollektive Krankentaggeldversicherung

Wird die Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin bei Krankheit des Arbeitnehmers im Sinne von OR 324a/4 durch eine für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertige Regelung ersetzt, so ist die Arbeitgeberin von ihrer Lohnfortzahlungspflicht befreit. Gemäss jüngerer Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine kollektive Krankentaggeldversicherung jedenfalls dann gleichwertig, wenn sie bei hälftiger Prämienteilung Taggelder von 80% des Lohns während maximal 720 innert 900 Tagen ausrichtet. Im vorliegend behandelten Urteil 4A_514/2018 hat das Bundesgericht ebenfalls festgehalten, dass die gesetzliche, zeitlich beschränkte Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin nach Beendigung der Versicherungsleistungen im selben Kalenderjahr nicht wieder auflebt. Zudem besagt dieses Urteil, dass die Versicherung ihre Verpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer erst und nur insofern erfüllt, als die für sie lediglich als Zahlstelle handelnde Arbeitgeberin die dem Arbeitnehmer zustehenden Taggelder in vollem Umfang weiterleitete bzw. auszahlte. Für allfällige nicht oder zu wenig bezahlte Krankentaggeldleistungen hat sich der Arbeitnehmer gestützt auf sein selbständiges Forderungsrecht an die Krankentaggeldversicherung zu wenden. Die Arbeitgeberin trifft dafür keine Schuldpflicht.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin hatte bei einer privaten Versicherungsgesellschaft eine kollektive Krankentaggeldversicherung abgeschlossen, welche ab dem 1. Oktober 2012 Taggelder ausrichtete, da der Arbeitnehmer ab diesem Zeitpunkt aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten konnte. Die Versicherung zahlte diese Taggelder der Arbeitgeberin, welche auf der Basis von 80% des bisherigen Lohns monatliche Lohnabrechnungen erstellte und dem Arbeitnehmer die Beträge auszahlte. Ab 1. Juni 2013 verfügte die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Basel-Landschaft die Durchführung von Eingliederungsmassnahmen. Der Arbeitnehmer absolvierte dieses Arbeitstraining im Betrieb seiner Arbeitgeberin, wobei ihm IV-Taggelder ausbezahlt wurden. Am 31. Mai 2014 wurde die Massnahme eingestellt. Zwischen Juni und Dezember 2014 war der Arbeitnehmer zu 100% bei der Arbeitgeberin tätig. Er war während dieser Zeit an einigen Tagen krankgeschrieben und absolvierte Zivilschutzdienst. Namentlich arbeitete er im Dezember 2014 nur an 11 von 22 Arbeitstagen. Im Januar 2015 standen ihm 13 bezahlte Arbeitstage von 22 zu. Ab Februar 2015 war er krankgeschrieben. Am 15. Februar 2015 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis auf den 31. März 2015. Die Krankentaggelder wurden bis Ende Mai 2015 über die Arbeitgeberin ausgerichtet. Ab dem 1. Juni 2015 wurden die Krankentaggelder von der Versicherung direkt dem Arbeitnehmer ausbezahlt. Die Zahlungen wurden per 18. August 2015 definitiv eingestellt. Nach erfolgloser Schlichtungsverhandlung klagte der Arbeitnehmer gegen die Arbeitgeberin. Er beanstandete neben der Gültigkeit der Kündigung auch verschiedene Abzüge auf der Lohnabrechnung.

Gleichwertige kollektive Krankentaggeldversicherung

Die gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung infolge Krankheit (100% Lohn während einer beschränkten Zeit nach Berner-, Basler- oder Zürcher-Skala) kann nach OR 324a/4 durch eine abweichende schriftliche Regelung, die für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertig ist, ersetzt werden. Gemäss Bundesgericht und herrschender Lehre ist eine Regelung jedenfalls dann gleichwertig, wenn sie bei hälftiger Prämienteilung Taggelder von 80% des Lohns während maximal 720 innert 900 Tagen ausrichtet. Ist dies der Fall, so ist die Arbeitgeberin von der Lohnfortzahlungspflicht befreit. Im vorliegenden Fall wird vom Arbeitnehmer nicht bestritten, dass die zu seinen Gunsten abgeschlossene Krankentaggeldversicherung die Voraussetzungen von OR 324a/4 erfüllt. Nachdem er nicht nur kurzzeitig krank war, war diese Regelung für ihn sogar günstiger als die zeitlich beschränkte Lohnfortzahlungspflicht gemäss OR 324a. Somit war die Arbeitgeberin gemäss Bundesgericht aufgrund der Kollektivkrankentaggeldversicherung von ihrer Lohnfortzahlungspflicht befreit gewesen. Zudem hält das Bundesgericht fest, dass die gesetzliche, zeitlich beschränkte Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin – die auch im laufenden Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Frist endet – nach Beendigung der Versicherungsleistungen im selben Kalenderjahr nicht wieder auflebt.

Schliesslich führte das Bundesgericht noch aus, dass die Gültigkeit der Kündigung nicht geprüft werden muss, da die Arbeitgeberin unbesehen einer gültigen Kündigung für das Jahr 2015 von ihrer Lohnfortzahlungspflicht gemäss OR 324a befreit war.

Arbeitgeberin ist nur Zahlstelle

Wenn die Arbeitgeberin dennoch Krankentaggelder abrechnete und weiterleitete, handelte sie gemäss Bundesgericht einzig als von der Versicherung eingesetzte Zahlstelle und insoweit nicht aus einer gegenüber dem Arbeitnehmer bestehenden Schuldpflicht. Da der Arbeitnehmer keine Schadenersatzansprüche gegenüber seiner ehemaligen Arbeitgeberin geltend machte, sondern einzig Taggelder forderte, ist hierfür nicht die Arbeitgeberin, sondern – sollten entsprechende Ansprüche bestehen – die Versicherung passivlegitimiert. Allfällige Ansprüche gegenüber der Versicherung sind indessen vorliegend nicht Verfahrensgegenstand.

Selbständiges Forderungsrecht gegen den Versicherer

Nach Art. 87 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) steht demjenigen, zu dessen Gunsten die Versicherung abgeschlossen worden ist, mit dem Eintritt des Unfalls oder der Krankheit aus der kollektiven Unfall- oder Krankenversicherung ein selbständiges Forderungsrecht gegen den Versicherer zu. Dies hat zur Folge, dass ausschliesslich der Begünstigte (der Versicherte) an der Leistung der Versicherung berechtigt ist, wobei die Versicherung nur durch Zahlung an den Arbeitnehmer selbst als begünstigten Dritten mit befreiender Wirkung erfüllen kann, nicht durch Leistung an die Arbeitgeberin, obwohl diese Vertragspartei ist. Die Versicherung hat also nicht bereits mit ihren Zahlungen an die Arbeitgeberin ihre Verpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt, sondern erst und nur insofern, als die für sie als Zahlstelle handelnde Arbeitgeberin die dem Arbeitnehmer zustehenden Taggelder in vollem Umfang weiterleitete bzw. auszahlte. Für allfällige nicht oder zu wenig bezahlte Krankentaggeldleistungen hat sich der Arbeitnehmer an die Versicherung zu wenden.


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