Vertrauensärztliche Untersuchung

1. August 2017

Vertrauensärztliche Untersuchung

Das Arztzeugnis hat in der Praxis eine grosse Bedeutung, wenn es darum geht, eine Arbeitsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen zu beweisen. Trotz Vorliegen eines Arztzeugnisses kann der Arbeitgeber jedoch in bestimmten Situationen an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zweifeln und möchte die behauptete Arbeitsunfähigkeit überprüfen lassen. Ein Arztzeugnis lässt sich am besten mit einem Gegenzeugnis mittels vertrauensärztlicher Untersuchung widerlegen. Dabei stellen sich insbesondere folgende Fragen: Ist der Arbeitgeber berechtigt, auch ohne vertragliche Grundlage eine vertrauensärztliche Untersuchung zu verlangen? Welches sind die Voraussetzungen für eine vertrauensärztliche Untersuchung? Wer trägt die Kosten? Welche Daten dürfen durch den Vertrauensarzt erhoben werden? Welche Folgen hat eine Weigerung des Arbeitnehmers bzw. ein widersprechendes Ergebnis des Vertrauensarztes?

Informationsbedürfnis des Arbeitgebers

Für den Arbeitgeber ist es in zweierlei Hinsicht wichtig, die behauptete Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers überprüfen zu können. Einerseits ist er gemäss OR 324a und b zur Lohnfortzahlung während einer beschränkten Zeit verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden infolge Krankheit oder Unfall an der Arbeitsleistung verhindert ist. Andererseits bestehen gemäss OR 336c Kündigungssperrfristen, wenn der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden infolge Krankheit oder Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist.

Der Arbeitnehmer hat seine unverschuldete Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Dies geschieht in der Regel mittels Arztzeugnis. Trotz Vorliegen eines Arztzeugnisses können beim Arbeitgeber jedoch in bestimmten Situationen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers aufkommen. In solchen Fällen braucht der Arbeitgeber ein Mittel, um die behauptete Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers überprüfen zu können.

Objektive Anhaltspunkte als Voraussetzung

Lehre und Rechtsprechung sind sich einig, dass der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt ist, einen Vertrauensarzt beizuziehen und dem Arbeitnehmer die Weisung zu erteilen, seine behauptete Arbeitsunfähigkeit durch den Vertrauensarzt überprüfen zu lassen. Die Pflicht des Arbeitnehmers zur Konsultation eines Vertrauensarztes kann grundsätzlich aus der Treuepflicht hergeleitet werden und bedarf keiner vertraglichen Grundlage. Zu den Voraussetzungen gehören das Vorliegen einer gesundheitlich begründeten Arbeitsunfähigkeit, der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, das Vorliegen objektiver Anhaltspunkte für Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit und die Verhältnismässigkeit der in Frage stehenden Massnahme. Zu den objektiven Anhaltspunkten gehören zusammengefasst folgende vier Kategorien: Formelle und materielle Mängel des Arbeitsunfähigkeitsnachweises, Verhalten des Arbeitnehmers, Verhalten des Arztes sowie Zeitpunkt, Häufigkeit und Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Die Kosten der vertrauensärztlichen Untersuchung gehen in der Regel zu Lasten des Arbeitgebers.

Weigerung des Arbeitnehmers bzw. widersprechendes Ergebnis

Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, Einwendungen gegen die vertrauensärztliche Untersuchung geltend zu machen. Dazu zählen Einwendungen gegen die Person des Vertrauensarztes (deshalb eventuell zwei, eine Ärztin und ein Arzt, zur Auswahl stellen), die Einwendung der Transportunfähigkeit und der fehlenden Information. Die Einwendungen führen aber nicht dazu, dass der Anspruch auf eine vertrauensärztliche Untersuchung entfällt. Sind die Einwendungen berechtigt, hat der Arbeitgeber lediglich dafür zu sorgen, dass sie beseitigt werden.

Verweigert der Arbeitnehmer die vertrauensärztliche Untersuchung innert der vom Arbeitgeber gesetzten (kurzen) Frist ohne berechtigte Einwendungen und erscheint er weiterhin nicht zur Arbeit, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Lohnfortzahlung bis auf weiteres – zumindest bis zur gerichtlichen Überprüfung – einzustellen. Dasselbe gilt, wenn die vertrauensärztliche Untersuchung zu einem widersprechenden Ergebnis führt, nämlich dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist.

Verletzung des Berufsgeheimnisses

Das Bundesgericht hatte kürzlich zu beurteilen, ob ein vom Arbeitgeber eingesetzter Vertrauensarzt das Berufsgeheimnis nach Art. 321 des Strafgesetzbuches (StGB) verletzt habe, da gemäss Staatsanwaltschaft der Umfang und der Detaillierungsgrad der Beurteilung den Rahmen eines Zeugnisses über eine vertrauensärztliche Untersuchung bei Weitem sprenge. Das Bundesgericht stellte vorerst klar, dass auch der vom Arbeitgeber eingesetzte Vertrauensarzt dem Berufsgeheimnis nach StGB 321 untersteht. Gemäss OR 328b darf der Arbeitgeber vom Vertrauensarzt nur diejenigen Angaben erheben, welche die Eignung des Arbeitnehmers für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zu dessen Durchführung erforderlich sind. Nach dem Praxisleitfaden der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften und der Verbindung der Schweizer Ärzte und Ärztinnen sowie dem Manual der Schweizerischen Gesellschaft für Vertrauens- und Versicherungsärzte hat das Arbeitsunfähigkeitszeugnis nur festzuhalten, seit wann die Arbeitsunfähigkeit besteht und wie lange sie voraussichtlich dauern wird, den Grad der Arbeitsunfähigkeit und ob es sich um eine Krankheit oder einen Unfall handelt. Weitergehende Angaben wie z.B. eine Diagnose darf der Vertrauensarzt nur erteilen, wenn ihn der Arbeitnehmer ausdrücklich vom Arztgeheimnis befreit hat. Eine solche Befreiung lag im vorliegenden Fall nicht vor, weshalb der Tatbestand der Verletzung des Berufsgeheimnisses erfüllt war. (Urteil 6B_1199/2016)

Kommentar

Um mehr Klarheit im Zusammenhang mit der vertrauensärztlichen Untersuchung zu erreichen, empfiehlt sich eine Regelung im Arbeitsvertrag oder im integrierten Personalreglement, welche den Zuzug eines Vertrauensarztes ausdrücklich vorsieht. Sie sollte auch die genannten Voraussetzungen sowie die Lohneinstellung bei einer allfälligen Weigerung bzw. bei widersprechendem Ergebnis enthalten. Denkbar ist auch eine Regelung, wonach der Arbeitnehmer wählen kann, entweder ein detailliertes Arztzeugnis (ebenfalls auf Kosten des Arbeitgebers) vorzulegen oder sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen.

Bevor jedoch ein Arbeitnehmer zur vertrauensärztlichen Untersuchung aufgeboten wird, sollten die bestehenden Zweifel an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers unbedingt umgehend einer bestehenden Taggeldversicherung zur Abklärung mitgeteilt werden. Damit kann sich der Arbeitgeber oft selber das Aufbieten zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung ersparen.

Berücksichtigte Literatur: Manuel Stengel, Der Vertrauensarzt im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis, in: Recht in privaten und öffentlichen Unternehmen (Roland Müller / Thomas Geiser [Hrsg.]), Band 3

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