Selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit?

2. Juli 2018

Selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit?

Diese Frage stellt sich im Rahmen der Vertragsgestaltung in zweierlei Hinsicht. Einerseits gilt es abzuklären, ob es sich um ein Arbeitsvertragsverhältnis (unselbständige Tätigkeit) oder beispielsweise um ein Auftragsverhältnis (selbständige Tätigkeit) handelt. Andererseits ist unabhängig davon zu klären, ob sozialversicherungsrechtlich selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt. Die vorliegende Ausgabe behandelt die sozialversicherungsrechtliche Fragestellung anhand des aktuellen Urteils 9C_308/2017 des Bundesgerichts.

Ausgangslage

Eine im Institut X. tätige Psychotherapeutin ersuchte im April 2014 bei der Ausgleichskasse des Kantons Zürich um Anschluss als selbständige Psychotherapeutin im Nebenberuf und Eintragung ins Register der Beitragspflichtigen. Die Ausgleichskasse lehnte das Gesuch ab, weil die Versicherte als Unselbständigerwerbende zu qualifizieren sei, für welche das Institut X. paritätische Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten habe. Nachdem die Einsprache des Instituts X. abgewiesen wurde, erhob es Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Dieses hiess die Beschwerde gut, hob den angefochtenen Entscheid auf und stellte fest, dass die von der Versicherten am Institut ausgeübte Tätigkeit als Psychotherapeutin eine selbständige Erwerbstätigkeit darstelle. Daraufhin erhob die Ausgleichskasse Beschwerde beim Bundesgericht.

Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses ist nicht massgebend

Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen dabei allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend zu sein. Als unselbständig erwerbstätig ist im Allgemeinen zu betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt. Die Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung einer erwerbstätigen Person jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zu Tage treten, muss sich der Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen.

Gesamtbetrachtung: Welche Merkmale überwiegen? 

Im vorliegenden Fall war die Psychotherapeutin in einem rund 30%igen Pensum im Institut X. tätig. Dass sie daneben noch – in unselbständiger Stellung – anderweitig als Lehrbeauftragte tätig war, hat für die hier zu beantwortende Rechtsfrage keine Bedeutung. Übt nämlich eine versicherte Person gleichzeitig mehrere Erwerbstätigkeiten aus, ist die beitragsrechtliche Qualifikation nicht aufgrund einer Gesamtbeurteilung vorzunehmen. Vielmehr ist jedes einzelne Erwerbseinkommen dahin zu prüfen, ob es aus selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit stammt. Dass die Parteien vorliegend vereinbart hatten, dass die Psychotherapeutin die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge mit den Behörden selber abrechnet, ist für die Durchführungsorgane der AHV nicht bindend.

Die Vereinbarung zwischen dem Institut X. und der Psychotherapeutin räumte dieser nicht nur die Benutzung eines Therapieraumes während eineinhalb Tagen pro Woche ein, sondern liess sie unbestrittenermassen teilhaben an der gesamten Infrastruktur einer bestens ausgerüsteten Psychotherapie-Praxis. Dazu gehörten neben der Mitbenutzung des Sekretariats, der Bibliothek und der EDV-Ausstattung auch Wartezimmer, Kopierer, sanitäre Anlagen, Getränke und Büromaterial sowie die Möglichkeit der Supervision ihrer therapeutischen Arbeit. Als Gegenleistung hatte die Psychotherapeutin einen angemessenen fixen Infrastrukturkostenbeitrag zu bezahlen. Zudem wurde sie auf der Instituts-Homepage als Mitglied des klinischen Teams geführt, und zwar mit Angaben zu Ausbildung, beruflichem Werdegang und Spezialisierung sowie mit ihrer – institutseigenen – persönlichen E-Mail-Adresse. Werbeauslagen entfielen somit ebenfalls. Von erheblichen Investitionen, welche die Psychotherapeutin zu tragen hätte, konnte demnach keine Rede sein. Dasselbe galt mit Bezug auf ein grösseres Verlustrisiko. Wohl hatte sie den erwähnten Infrastrukturkostenbeitrag stets zu entrichten (auch bei ferien- und krankheitsbedingter Abwesenheit) und trug die Folgen der Zahlungsunfähigkeit von Klienten oder Patienten (Inkasso- und Delkredere-Risiko). Doch angesichts der in der Vereinbarung festgelegten dreimonatigen Kündigungsfrist konnte sie ihre Tätigkeit als Psychotherapeutin bei wirtschaftlichem Misserfolg relativ kurzfristig und ohne Einbussen im Sinne von Substanzverlusten wieder aufgeben, da sie weder für Angestelltenlöhne noch (mit Blick auf die mitbenutzten Institutsräumlichkeiten) für ein längerfristiges Mietverhältnis einzustehen hatte. Insgesamt fehlte es somit an einem spezifischen Unternehmerrisiko der Psychotherapeutin, was an sich gegen eine selbständige Erwerbstätigkeit sprach. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich sah dies nicht anders, berief sich aber auf die Praxis des Bundesgerichts (Urteil 9C_930/2012 E. 6.2 in fine), wonach bei typischen Dienstleistungstätigkeiten wie der vorliegenden, für deren Ausübung häufig weder besondere Investitionen zu tätigen noch Angestelltenlöhne zu bezahlen sind, das Unternehmerrisiko als Unterscheidungsmerkmal gegenüber demjenigen der betriebswirtschaftlich-arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit in den Hintergrund zu treten hat. Im vorliegenden Fall wurden aber erhebliche finanzielle und personelle Aufwendungen vom Institut erbracht, von denen die Psychotherapeutin in hohem Masse profitierte und nur indirekt daran beteiligt war. Die Umsetzung der angeführten Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall liess das Bundesgericht aber offen, da es der Ansicht war, dass die Prüfung des Beitragsstatuts selbst dann ein eindeutiges Ergebnis ergibt, wenn allein auf das Kriterium der betriebswirtschaftlichen oder arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit abgestellt wird.

Zusammenfassend wies die von der Psychotherapeutin am Institut X. ausgeübte Tätigkeit gemäss Bundesgericht verschiedene Kriterien auf, die überwiegend zugunsten einer unselbständigen Tätigkeit sprechen. Dies betrifft – unter gänzlicher Ausklammerung des spezifischen Unternehmerrisikos – das Auftreten in „eigenem Namen“ nur unter dem Briefkopf des Instituts oder als Mitglied seines klinischen Teams, die weitgehende betriebswirtschaftliche, persönliche und wissenschaftlich-konzeptionelle Einbindung der Psychotherapeutin sowie die Ausgestaltung der diesbezüglichen Kontrolle. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung belegen diese Merkmale ein Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnis, weil den gegenläufigen Aspekten des Inkasso- und Delkredere-Risikos, der freien Patientenannahme und Preisgestaltung sowie des Verzichts auf ein Konkurrenzverbot auch vereint deutlich weniger Gewicht beizumessen ist. Jedenfalls vermögen sie das Pendel nicht in Richtung selbständige Erwerbstätigkeit ausschlagen zu lassen.



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