Gleitende Arbeitszeit und Überstunden

1. August 2014

Gleitende Arbeitszeit und Überstunden

Die Abgrenzung zwischen einem Gleitzeitüberhang und Überstunden ist von besonderer Bedeutung, da Überstunden unter Umständen vom Arbeitgeber zu entschädigen sind, hingegen ein Gleitzeitüberhang am Ende einer vereinbarten Zeitperiode oder am Ende des Arbeitsverhältnisses verfällt, da der Arbeitnehmer innerhalb seiner Arbeitszeitautonomie für einen Abbau des Zeitsaldos bemüht sein muss. Eine Entschädigung des Gleitzeitüberhangs kommt nur in Frage, wenn betriebliche Notwendigkeit oder anderslautende Weisungen des Arbeitgebers den zeitlichen Ausgleich nicht zulassen. Hat der Arbeitnehmer im Verhältnis zum vereinbarten Mass zu wenig Arbeit geleistet, kann der Arbeitgeber dafür die Lohnzahlung verweigern.

Sachverhalt

Der Arbeitsvertrag eines Controllers sah unter anderem Folgendes vor: Die Arbeitszeit wurde mit Zustimmung der Generaldirektion nach den von ihr festgelegten Bedürfnissen bestimmt. Der Arbeitszeitrahmen war grundsätzlich 9.00 bis 12.00 Uhr und 13.00 bis 18.00 Uhr. Der vereinbarte Lohn von rund 150‘000 Franken deckte sämtliche Leistungen des Arbeitnehmers sowie seine Geschäftsreisen in der Schweiz und im Ausland ab. Die Kompensation durch Freizeit und die separate Entschädigung von Überstunden waren, vorbehältlich besonderer Vereinbarungen, grundsätzlich ausgeschlossen. Der Arbeitnehmer wurde darauf hingewiesen, dass seine Tätigkeit zahlreiche Geschäftsreisen mit sich bringen würde. Nachdem dem Controller gekündigt worden war, verlangte dieser vom Arbeitgeber rund 53‘000 Franken Überstundenentschädigung. Die erste Instanz wies die Klage ab. Die zweite Instanz verurteilte den Arbeitgeber zur Bezahlung von rund 43‘000 Franken für geleistete Überstunden (BGE 4A_611/2012).

Überstunden

Als Überstunden bezeichnet man die Arbeitszeit, welche die im Einzelarbeits-, Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag vereinbarte oder im Betrieb geltende oder in der Branche übliche Dauer überschreitet. Die Beweislast, dass die Überstunden tatsächlich geleistet wurden, liegt beim Arbeitnehmer. Lässt sich die genaue Anzahl geleisteter Überstunden nicht feststellen, kann sie der Richter in Anwendung von OR 42/2 schätzen. Dabei muss sich der Schluss, dass die Überstunden tatsächlich im geltend gemachten Ausmass geleistet wurden, dem Richter mit einer gewissen Überzeugungskraft aufdrängen. Im vorliegenden Fall schloss die zweite Instanz aufgrund von Zeugenaussagen, dass mit der von der Rechtsprechung geforderten gewissen Überzeugungskraft angenommen werden konnte, dass der Controller tatsächlich 700 Überstunden geleistet hatte, was während des Anstellungsverhältnisses von Mitte Februar 2007 bis Mitte Februar 2008 monatlich 58 Stunden entsprach. Da Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung gemäss Bundesgericht nicht willkürlich waren, wies es die Beschwerde ab und der Arbeitgeber musste dem Controller 43‘000 Franken für geleistete Überstunden bezahlen.

Gleitende Arbeitszeit

Mit Hinweis auf die Rechtsprechung über die gleitende Arbeitszeit machte der Arbeitgeber geltend, die zweite Instanz hätte nicht beachtet, dass der Controller bei der Organisation seiner Arbeit grosse Freiheit hatte und genügend Zeit, um die bei Sondereinsätzen und in besonders dringenden Situationen geleisteten Überstunden zu kompensieren. Wenn er dazu nicht in der Lage war, hätte er dies dem Arbeitgeber mitteilen und ihn auf seine zusätzliche Arbeit aufmerksam machen müssen.

Das besondere Wesen der gleitenden Arbeitszeit liegt darin begründet, dass die Zeitsouveränität im Gegensatz zur Überstundenarbeit beim Arbeitnehmer liegt. Dieser kann – innerhalb eines regelmässig näher bestimmten Rahmens – Arbeitsbeginn, Arbeitsende sowie die Pausen selber und frei bestimmen. In der Regel werden feste Blockzeiten vereinbart, deren Summe die gesamte Wochenarbeitszeit (oder Monats- bzw. Jahresarbeitszeit) wesentlich unterschreitet und die durch so genannte Gleitzeiten umlagert werden, während denen der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit frei einteilen kann. Eine Gleitzeitabrede setzt das Bestehen von Blockzeiten indes nicht voraus. Der Arbeitgeber kann darauf verzichten, dem Arbeitnehmer bestimmte Zeiten vorzuschreiben, zu denen er im Betrieb sein muss. Weil die Zeitsouveränität bei der Gleitzeitarbeit beim Arbeitnehmer liegt, hat dieser auch dafür zu sorgen, dass er mit seiner tatsächlich geleisteten Arbeit innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit bleibt. Wird Mehrarbeit geleistet und ist sie weder arbeitgeberseitig angeordnet noch betrieblich notwendig, sondern beruht sie auf der individuellen Arbeitseinteilung des Arbeitnehmers, so hat dieser die über den Soll-Zeitrahmen hinaus geleistete Arbeitszeit zu kompensieren. Eine Vereinbarung des Inhalts, dass nur eine bestimmte Anzahl Stunden von einer Zeitperiode auf die andere übertragen werden kann, ist dabei durchaus zulässig.

Abgrenzung Gleitzeitüberhang und Überstunden

Abgrenzungsfragen stellen sich insbesondere im Zusammenhang mit dem Ende von Gleitzeitperioden und während der Kündigungsfrist bzw. am Ende des Arbeitsverhältnisses. Besteht am Ende einer vereinbarten Zeitperiode ein Gleitzeitüberhang, verfällt dieser in der Regel. Lassen jedoch gegen Ende der entsprechenden Zeitperiode betriebliche Notwendigkeit oder anderslautende Weisungen des Arbeitgebers, über die Blockzeiten hinaus zu arbeiten, den zeitlichen Ausgleich nicht zu, liegen entschädigungspflichtige oder zur Kompensation berechtigende Überstunden vor. Betriebliche Notwendigkeit ist nur gegeben, wenn die Arbeit gerade im betreff enden Zeitpunkt erledigt werden muss. Es genügt nicht, dass die Arbeit im Interesse des Arbeitgebers geleistet wird. Gleitzeitguthaben sollten kein derartiges Ausmass erreichen, dass sie nicht innerhalb des für die ordentliche Kündigungsfrist definierten Zeitrahmens während der festgelegten Gleitzeit wieder ausgeglichen werden können. Lässt der Arbeitnehmer Gleitzeit-Mehrstunden in grösserem Umfang anwachsen, so übernimmt er damit das Risiko, sie bis zum Ende der Vertragszeit nicht mehr vollständig abbauen zu können. Dies gilt auch und insbesondere dann, wenn die Parteien keine besondere Vereinbarung bezüglich der Kompensation eines derartigen Gleitzeitüberhangs getroffen haben. Eine Entschädigung kommt nur in Frage, wenn betriebliche Notwendigkeit oder anderslautende Weisungen des Arbeitgebers den zeitlichen Ausgleich solcher Guthaben innerhalb des vereinbarten Gleitzeitrahmens und unter Einhaltung etwaiger Blockzeiten nicht zulassen. In diesem Fall sind die Mehrstunden aber nicht mehr als Gleitzeitguthaben, sondern als eigentliche Überstunden zu qualifizieren. Dasselbe gilt, soweit der Arbeitnehmer nach (ordentlicher) Kündigung Gleitzeitguthaben bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ausgleichen will, der Arbeitgeber oder die betrieblichen Umstände dies jedoch nicht zulassen.

Kommentar

Eine klare vertragliche Gleitzeitregelung kann sinnvoll sein. Es gilt sich aber bewusst zu sein, dass in der Praxis die Abgrenzung eines freiwillig aufgebauten Gleitzeitüberhangs zur betrieblich notwendigen Mehrarbeit oft schwierig ist.

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