Vergleichsvereinbarung

1. September 2014

Vergleichsvereinbarung

Mit einer Vergleichsvereinbarung legen die beteiligten Parteien einen Streit oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Zugeständnissen bei. Dabei ist darauf zu achten, dass der Arbeitnehmer nicht unter Druck unangemessene Zugeständnisse macht und bei einer Saldo-Regelung keine unerwartete Entwicklung geltend machen kann (BGE 4A_25/2014 vom 7. April 2014). 

Sachverhalt

Eine als Solistin angestellte Arbeitnehmerin erlitt bei einem Auftritt auf der Bühne schwerste Verbrennungen, die mehrfach chirurgisch behandelt werden mussten und zu einer umfangreichen Narbenbildung führten. Zudem entwickelte die Arbeitnehmerin aufgrund des Unfallereignisses aus psychiatrischer Sicht eine posttraumatische Belastungsstörung, an der sie zum Zeitpunkt des Urteils immer noch litt. Sie war zwar wieder zu 100% arbeitsfähig, befand sich aber seit dem Unfallereignis in fachärztlicher Behandlung. Nach vorgängigen Verhandlungen wurde zwischen den Arbeitsvertragsparteien sowie der Haftpflicht- und Unfallversicherung des Arbeitgebers folgende Vereinbarung getroffen: Die Versicherung richtet der Arbeitnehmerin zur Abgeltung einer ihr zustehenden Genugtuung sowie ihres Schadenersatzanspruchs im Zusammenhang mit dem Unfallhergang (insbesondere Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens) eine einmalige Kapitalabfindung von 100'000 Franken aus. Damit nicht abgegolten seien die finanziellen Aufwendungen für die bisherigen und künftigen Heilungskosten, für welche der Arbeitgeber bzw. die Versicherung weiterhin aufkommen würden. Die vereinbarte Abfindung wurde bezahlt. Die Arbeitnehmerin klagte gegen den Arbeitgeber und verlangte 30‘000 Franken. Im Wesentlichen machte sie geltend, die Vereinbarung sei nicht per Saldo aller Ansprüche geschlossen worden. Und selbst wenn die Vereinbarung per Saldo zu verstehen wäre, wäre sie wegen OR 341 ungültig, da die vereinbarte Summe nicht als gleichwertige Leistung betrachtet werden könne. Eventualiter liege ein Grundlagenirrtum vor, da bei der Vereinbarung nicht von einer andauernden posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen worden sei. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab und das Obergericht bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts.

Per Saldo aller Ansprüche

Sowohl Arbeitsgericht als auch Obergericht hielten fest, dass den Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vergleichsvereinbarung die depressive Verstimmung bzw. posttraumatische Belastungsstörung der Arbeitnehmerin, die gemäss den fachärztlichen Zeugnissen und Berichten schon vor Unterzeichnung der Vereinbarung vorhanden gewesen seien, bekannt gewesen seien. Die Arbeitnehmerin könne sich deshalb nicht darauf berufen, es handle sich dabei um eine unerwartete Entwicklung. Die Parteien hätten beim Abschluss der Vereinbarung von einem langwierigen (psychischen) Heilungsprozess ausgehen müssen. Die damit verbundenen Schadenersatzansprüche hätten daher per Saldo aller Ansprüche verglichen werden können. Gemäss Bundesgericht genügt es, dass die Parteien bei Abschluss der Vereinbarung von der Möglichkeit einer künftigen, psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit ausgehen mussten bzw. dass sie vorhersehbar war. Sie brauchten keine Gewissheit zu haben, dass eine „Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen im Sinne eines Dauerschadens“ eintreten würde. Dass die Arbeitsfähigkeit wieder voll vorhanden war, ändert nichts an der Diagnose. Der Arbeitnehmerin musste bewusst gewesen sein, dass keine Gewissheit über die künftige Erhaltung der bestehenden vollen Arbeitsfähigkeit bestand und dass die posttraumatische Belastungsstörung sich chronifizieren konnte. Die Vereinbarung deckte somit auch die allfälligen Schadenersatzansprüche ab, die mit dem langwierigen psychischen Heilungsprozess, namentlich einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung verbunden sind.

Kein Verstoss gegen das Verzichtsverbot

Die Arbeitnehmerin stellte sich zudem auf den Standpunkt, der Vergleich sei nach OR 341/1 ungültig. Nach OR 341/1 ist ein Verzicht des Arbeitnehmers auf Forderungen, die sich aus zwingenden Gesetzesbestimmungen ergeben, nichtig, wenn er während des Arbeitsverhältnisses oder während eines Monats nach dessen Beendigung erfolgt. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäss OR 328 figuriert unter den einseitig zwingenden Vorschriften von OR 362. Ein im Voraus erklärter Forderungsverzicht des Arbeitnehmers ist grundsätzlich nichtig, da damit im Ergebnis ein Verzicht auf die Befolgung der Fürsorgepflichten nach OR 328 einhergeht, bildet doch bei Fürsorgepflichtverletzungen der Schadenersatzanspruch nach OR 97 die praktisch wichtigste Folge. Vorliegend geht es jedoch nicht um einen generellen Verzicht. Strittig waren allfällige Schadenersatzansprüche der Arbeitnehmerin als Folge einer (behaupteten) Verletzung von OR 328. Solche sind gemäss Obergericht nicht zwingender Natur im Sinn von OR 362, und ein Vergleich über solche Sekundäransprüche ist daher nicht von OR 341/1 erfasst. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung und Lehre verbietet OR 341/1 nur den einseitigen Verzicht und nicht auch den Vergleich, bei dem beide Parteien auf Ansprüche verzichten und damit ihr gegenseitiges Verhältnis klären. Dabei kann es sich auch um Ansprüche handeln, die zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses unsicher sind. Im vorliegenden Fall anerkannte der Arbeitgeber die von der Arbeitnehmerin behaupteten Forderungen in einer bestimmten Höhe und verpflichtete sich zur Zahlung, auf der anderen Seite verzichtete die Arbeitnehmerin auf Mehrforderungen. Die Vereinbarung beinhaltete also ein gegenseitiges Entgegenkommen.

Kein Grundlagenirrtum

Die Arbeitnehmerin machte im Weiteren einen Grundlagenirrtum geltend. Ihr angeblicher Irrtum (Eintritt einer dauernden posttraumatischen Belastungsstörung) betrifft jedoch einen Punkt, der bei Abschluss der Vereinbarung – für beide Parteien erkennbar – ungewiss und nicht auszuschliessen war. Der Ungewissheit des physischen und psychischen Heilungsverlaufs sollte gerade mit dem Abschluss der Entschädigungsvereinbarung begegnet werden. Da dieser Umstand Gegenstand des Vergleichs bildete, konnte sich der Irrtum der Arbeitnehmerin gemäss Bundesgericht nicht darauf beziehen und es lag deshalb kein Grundlagenirrtum vor.

Kommentar

Der Abschluss eines angemessenen Vergleichs per Saldo aller Ansprüche, gegen den der Arbeitnehmer weder Irrtum noch einen Verstoss gegen das Verzichtsverbot geltend machen kann, kann anspruchsvoll sein. Der Beizug eines Rechtsberaters ist dann zu empfehlen. Noch mehr Rechtssicherheit erreicht man durch die Mitwirkung eines vom Arbeitnehmer beigezogenen Rechtsberaters.

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