Kündigung zur Unzeit

1. März 2018

Kündigung zur Unzeit

Jeder neue Grund für eine Arbeitsverhinderung löst eine neue eigenständige Sperrfrist aus, also auch jede neue Krankheit und jeder neue Unfall, selbst wenn diese in eine schon laufende Sperrfrist oder in eine schon erstreckte, weiterlaufende Kündigungsfrist fallen. Krankheiten sind neu, wenn sie zu früheren Krankheiten in keinem Zusammenhang stehen. Im Urteil 4A_706/2016 des Bundesgerichts waren die physischen und psychischen Krankheiten in ausreichendem Mass miteinander verbunden, um eine neue Arbeitsunfähigkeit, die eine neue Sperrfrist zur Folge hätte, auszuschliessen.

Allgemeines zur Kumulation von Sperrfristen

Im Rahmen der zeitlichen Kündigungsbeschränkungen erwähnt das Gesetz (OR 336c/1) mehrere Sperrfristen wie schweizerischer obligatorischer Militärdienst, unverschuldete Arbeitsverhinderung durch Krankheit oder Unfall während einer beschränkten Zeit je nach Dienstjahr, sowie Schwangerschaft und 16 Wochen danach. Jeder Tatbestand löst für sich eine neue Sperrfrist aus. Die Kumulation der Sperrfristen gilt aber nicht nur bei Vorliegen verschiedener Tatbestände, z. B. Krankheit und Militärdienst, sondern auch bei Zusammentreffen gleichartiger Tatbestände aus verschiedenen Gründen, z.B. Krankheit und Unfall, und sogar auch dann, wenn der Arbeitnehmer nach einer ersten Krankheit eine zweite, von der ersten Erkrankung unabhängige Krankheit oder nach einem ersten Unfall einen zweiten Unfall erleidet. Diesfalls läuft also für jeden unterschiedlichen Grund einer krankheits- oder unfallbedingten Arbeitsverhinderung eine neue je nach Dienstjahr auf 30, 90 oder 180 Tage beschränkte Sperrfrist.

Sachverhalt

Dem eingangs erwähnten Urteil des Bundesgerichts lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der seit dem 1. Oktober 2010 angestellte Arbeitnehmer war ab dem 11. Juni 2013 zu 100% arbeitsunfähig, hauptsächlich infolge einer Herzkrankheit. Bei Zusatzabklärungen im Rahmen dieser Krankheit wurde festgestellt, dass der Arbeitnehmer einen Nierentumor hatte, der am 16. Januar 2014 operiert wurde. Die mit dieser Operation zusammenhängende Arbeitsunfähigkeit dauerte vom 16. Januar bis am 5. Mai 2014. Da sich der psychische Zustand des Arbeitnehmers verschlechterte, wurde er am 6. Mai 2014 in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und war vom 6. Mai bis am 31. Oktober 2014 zu 100% arbeitsunfähig. Am 26. Juni 2014 kündigte die Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag mittels eingeschriebenem Brief auf den 31. August 2014. Am 3. Oktober 2014 informierte der Anwalt des Arbeitnehmers die Arbeitgeberin, dass die Kündigung aufgrund der im Mai 2014 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit nichtig sei, da diese auf anderen Gründen beruhe, als die vorhergehenden Arbeitsunfähigkeiten. Die Arbeitgeberin bestritt diese Ansicht. Als Vorsichtsmassnahme kündigte sie jedoch den Arbeitsvertrag noch einmal mit Schreiben vom 21. Januar 2015 auf den 31. März 2015.

Gerichtliche Beurteilung

Le Tribunal civil (1. Instanz) ging davon aus, dass die Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Probleme bereits vor dem Klinikeintritt am 6. Mai 2014 bestand. Gemäss Arztzeugnis hatte der Arbeitnehmer bereits in der Zeit vom 11. Juni 2013 bis am 5. Mai 2015 hintergründig psychische Probleme, welche sich mit den Arbeitsunfähigkeiten infolge somatischer Krankheiten überschnitten. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass jene bereits vor dem 28. März 2014 bestanden. Der Arbeitnehmer konnte so nicht nachweisen, dass die 90-tägige Sperrfrist im Zeitpunkt des Empfangs der Kündigung noch lief. Somit wurde die Kündigung als gültig anerkannt.

Le Tribunal cantonal neuchâtelois (2. Instanz) beurteilte den Fall anders als die 1. Instanz. Die Kantonsrichter gingen davon aus, dass ab 6. Mai 2014 eine dritte Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit bestand und somit eine neue 90-tägige Sperrfrist auslöste. Die vorhergehenden psychischen Probleme seien nicht gravierend genug gewesen, um eine Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Somit wurde die Kündigung vom 26. Mai 2014 als nichtig erachtet und die Arbeitgeberin entsprechend zur Lohnzahlung bis am 31. März 2015 verpflichtet.

Das Bundesgericht hat Folgendes erwogen: Es wirft den Kantonsrichtern vor, willkürlich geurteilt zu haben, indem diese unter den gegebenen Umständen den Äusserungen des Allgemeinmediziners, dessen Glaubwürdigkeit objektiv weder diskutabel war noch diskutiert wurde, nicht Rechnung getragen haben. Dieser betreute den Arbeitnehmer bis zu seinem Klinikeintritt und kannte die Situation entsprechend gut. Seine Äusserungen schienen somit angemessen und differenziert, obwohl er über die rechtlichen Auswirkungen seiner Antworten vom Anwalt des Arbeitnehmers informiert worden war. Er stellte fest, dass sich die psychische Verfassung des Arbeitnehmers verschlechtert hatte „dans un contexte médical chargé et en raison de difficulté familiales très importantes“, was schliesslich zur Einweisung in die psychiatrische Klinik führte. Zudem hielt er fest, dass die Gründe der Arbeitsunfähigkeit „s’entremêlent“, also mehrere Faktoren involviert waren. Gemäss Allgemeinmediziner ist die Arbeitsunfähigkeit, die zumindest durch die Verschlechterung der psychischen Verfassung verursacht wurde, nicht nur auf die familiären Schwierigkeiten zurückzuführen, sondern auch auf die medizinische Situation des Arbeitnehmers, der sukzessive von einer Herzkrankheit mit Spitalaufenthalt und Rehabilitation, und danach von einem Nierentumor betroffen war. Gemäss Bundesgericht sind die Anpassungsstörungen, die zur Einweisung in die psychiatrische Klinik führten und eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatten, auf soziale Stressfaktoren und die körperlichen Gesundheitsprobleme – Herzstörung und Nierentumor – des Arbeitnehmers zurückzuführen; letztere hatten zu gewissen sozialen Stressfaktoren beigetragen. Führt diese Feststellung aber auch tatsächlich zu einer neuen Sperrfrist nach OR 336c/1b? In den gesammelten Beweisen und insbesondere auch in den Erläuterungen des Allgemeinmediziners gibt es keine Hinweise darauf, dass der durch die Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit (und ihre sozialen Folgen) verursachte Stressfaktor, so gering ist, dass die psychische Erkrankung als unabhängig und in der Lage angesehen werden kann, eine neue Sperrfrist auszulösen. Kurz, die physischen und psychischen Krankheiten sind in ausreichendem Mass miteinander verbunden, um eine neue Arbeitsunfähigkeit, die eine neue Sperrfrist zur Folge hätte, auszuschliessen. Somit war die am 26. Juni 2014 ausgesprochene Kündigung gültig und es bestand kein Lohnanspruch des Arbeitnehmers bis am 31. März 2015.

Kommentar

Auch wenn der vorliegende Fall schliesslich zu Gunsten der Arbeitgeberin ausgegangen ist, bleibt die Problematik und Unsicherheit bestehen, ob im konkreten Einzelfall nur eine oder mehrere Sperrfristen gelten und entsprechend eine Kündigung gültig oder nichtig ist. Der Arbeitgeber ist gut beraten, wie er dies im vorliegenden Fall auch getan hat, als Vorsichtsmassnahme noch einmal zu kündigen, für den Fall, dass sich eine ausgesprochene Kündigung später als nichtig erweisen sollte.

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