Unzulässiger Arbeitskampf einer Gewerkschaft

2. Januar 2006

Unzulässiger Arbeitskampf einer Gewerkschaft

Das Bundesgericht hat im Entscheid 4C.422/2004 vom 13. September 2005 die Mediengewerkschaft Comedia verurteilt, der Lausanner Druckerei Presses Centrales für eine Blockadeaktion Schadenersatz zu bezahlen. Mitglieder und Sympathisanten der Comedia hatten am 18. März 2001 die Zugänge zur Presses Centrales blockiert und somit Druck und Auslieferung der Zeitungen zu verhindern versucht.

Mittel des Arbeitskampfes

Im vorliegenden Fall war kein Mitarbeiter der Druckerei an der Manifestation beteiligt. Somit kann diese Aktion nicht als Streik qualifiziert werden. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung definiert den Streik als kollektive Weigerung der geschuldeten Arbeitsleistung zum Zwecke der Durchsetzung von Forderungen nach bestimmten Arbeitsbedingungen gegenüber einem oder mehreren Arbeitgebern. Mit anderen Worten werden Personen ausserhalb eines Unternehmens nicht als Streikende betrachtet, auch wenn sie die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer vertreten, denn sie haben gegenüber dem betroffenen Unternehmen keine Arbeitspflicht.

Es ist erwiesen, dass die erwähnte Manifestation von Mitgliedern einer Gewerkschaft geführt worden ist, welche Vertragspartei eines GAV ist, abgeschlossen mit dem Arbeitgeberverband F., zu dessen Mitgliedern das betroffene Unternehmen gehört. Es handelte sich also um eine kollektive Handlung. Zudem war sie gegen diesen Arbeitgeber gerichtet und zielte klar auf die Arbeitsverhältnisse in diesem Unternehmen, hatte also keinen politischen Charakter. Schliesslich fand sie statt, nachdem die Verhandlungen der Gewerkschaft mit der Druckerei zur Unterzeichnung eines neuen GAV fehlgeschlagen sind. Folglich rechtfertigt es sich gemäss Bundesgericht anzunehmen, dass die Aktion vom 18. März 2001 zur Kategorie der Mittel des Arbeitskampfes – wie auch beispielsweise Streik und Aussperrung – zu zählen ist.

Zwei Übereinkommen der IAO

Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens stützte sich die Gewerkschaft auf zwei Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über gewerkschaftliche Rechte. Sie behauptete, diese seien im schweizerischen Recht direkt anwendbar. Bisher bestand hinsichtlich dieser Frage eine Unsicherheit. Das Bundesgericht hat nun Klarheit geschaffen und entschieden, dass diese internationalen Übereinkommen nicht direkt anwendbar sind. Damit räumen sie keine Rechte ein, auf die man sich vor schweizerischen Gerichten berufen könnte.

Auf Grund dessen prüfte das Bundesgericht in der Folge die Rechtmässigkeit der Arbeitskampfmassnahme allein gestützt auf das schweizerische Recht.

Voraussetzungen der Rechtmässigkeit

Das Bundesgericht hat im Entscheid 125 III 277 (vgl. Publikation „Arbeitsrecht“ Nr. 11 – November 1999) festgehalten, dass im schweizerischen Arbeitsrecht lückenfüllend ein Streikrecht zu bejahen ist, wenn kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sind. Im Jahr 2000 ist die neue Bundesverfassung (BV) in Kraft getreten und in Artikel 28 sind unter dem Titel Koalitionsfreiheit Streik und Aussperrung als zulässig erklärt worden. Gemäss BV 28 ist ein Streik nur unter folgenden Bedingungen zulässig: er muss Arbeitsbeziehungen betreffen (somit sind politische Streiks unzulässig), es dürfen keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen, und der Streik muss verhältnismässig sein (dies ergibt sich aus BV 28/2, wonach Streitigkeiten nach Möglichkeit durch Verhandlung oder Vermittlung beizulegen sind). Nicht explizit erwähnt ist in BV 28/2 die vierte Bedingung, aufgestellt von der Rechtsprechung, nämlich dass der Streik von einem Arbeitnehmerverband getragen wird. Gemäss Bundesgericht ist jedoch davon auszugehen, dass diese Bedingung immer gültig ist.

Ob das Mittel des genannten Arbeitskampfes rechtmässig war, ist nach Bundesgericht im Lichte dieser vier Bedingungen abzuklären. Es besteht kein Zweifel, dass der Arbeitskampf von einer Arbeitnehmerorganisation getragen wurde. Die kollektive Arbeitskampfmassnahme betraf zudem offensichtlich Arbeitsbeziehungen, denn sie zielte darauf ab, die Druckerei zur Unterzeichnung eines neuen GAV zu zwingen, dessen normative Bestimmungen dann direkt anwendbar wären auf die von der Druckerei abgeschlossenen Einzelarbeitsverträge. Der von der Comedia mit dem Arbeitgeberverband F. abgeschlossene GAV trat am 1. April 2000 in Kraft und dauerte bis am 30. April 2004. Am 15. Mai 2000 gab die Druckerei dem Arbeitgeberverband F. ihren Austritt per 31. Dezember 2000 bekannt. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (4C.7/1999) ist jedoch davon auszugehen, dass die normativen Bestimmungen eines befristeten GAV auch bei einem Austritt eines Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband bis zu dessen Ablauf weiterhin anwendbar sind für alle anlässlich des Abschlusses unterstellten Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Somit waren die Comedia und die Druckerei im März 2001 immer noch dem GAV unterstellt und die Comedia verpflichtet, den Arbeitsfrieden zu wahren und sich jeder Kampfmassnahme zu enthalten, soweit es sich um Gegenstände handelt, die im GAV geregelt sind (OR 357a). Auf Grund der Verpflichtung, den Arbeitsfrieden zu wahren, musste sie insbesondere die vom kantonalen Recht eingeführte Schlichtungsstelle anrufen. Die Comedia hat die Schlichtungsstelle jedoch erst am Tag nach der Kampfmassnahme angerufen. Mit für uns nicht überzeugender Begründung und entgegen kantonalem öffentlichem Recht kam das Bundesgericht zum Schluss, dass dies auf Grund ganz spezieller Umstände entschuldbar war und somit keinen Schadenersatz aus unerlaubter Handlung wegen Verletzung der Friedenspflicht zur Folge hat.

Schliesslich wurde noch geprüft, ob die Kampfmassnahme verhältnismässig war. Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip sind kollektive Kampfmassnahmen nur als ultima ratio zulässig. Sie sind nur zulässig, wenn sie notwendig sind zur Erreichung des verfolgten Zieles. Kampfmassnahmen sind beispielsweise dann nicht verhältnismässig, wenn Gewalt angewendet wird oder wenn sie den Vermögenswerten des Unternehmens schaden. Während der Manifestation hat sich eine kompakte Gruppe von Personen vor den Eingang gestellt und dadurch die Arbeitnehmer in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt, indem das Betreten und Verlassen das Gebäude verhindert wurde. Diese Massnahme war gemäss Bundesgericht bereits unverhältnismässig. Die Arbeitnehmer wurden während mehr als drei Stunden an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert und dies unter Einsatz von körperlicher Gewalt. Zudem ist materieller Schaden verursacht worden. Somit war die Kampfmassnahme klar widerrechtlich im Sinn von OR 41 und die Comedia entsprechend schadenersatzpflichtig.


Den Abonnenten Beratung und Beratung 360° vorbehalten Abonnieren Sie sich

Eine Kategorie wählen:

Laden….