Ven, 7 novembre 2025
Ob ein Geldbetrag als (geschuldeter) Lohnbestandteil oder (freiwillige) Gratifikation qualifiziert wird, hat arbeitsrechtliche Auswirkungen. So darf etwa die Auszahlung eines Lohnbestandteils nicht an Bedingungen geknüpft werden wie etwa der «Nichtkündigung des Vertrags» – eine solche Vertragsklausel ist nichtig. Nachfolgend wird dies anhand eines kürzlich ergangenen Urteils des Bundesgerichts beleuchtet.
Mit Urteil vom 19. Februar 2025 (4A_506/2023) hat das Bundesgericht (BGer) über folgenden Fall entschieden: Der Arbeitsvertrag eines am 2. September 2019 eingestellten Arbeitnehmer sah als Vergütung insbesondere eine Entschädigung für gebundene Aktien («Restricted Stock Units», RSU) vor, die der Arbeitnehmer im Rahmen seiner vorherigen Beschäftigung hätte erhalten müssen. Es wurde vereinbart, dass diese Entschädigung im Gesamtwert von CHF 700'000.00 in drei gleichen Tranchen zu zahlen war, die erste bei der Einstellung, die zweite nach 12 Monaten Dienstzeit und die dritte nach 24 Monaten. Die erste Tranche wurde am 11. September 2019 ausgezahlt.
Am 18. Mai 2020 kündigte der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag auf den 31. August 2020.
Der Arbeitnehmer reichte daraufhin Klage beim Arbeitsgericht ein und stellte verschiedene Forderungen, darunter die Zahlung eines Betrags von CHF 466'667.00 als Restbetrag seiner Entschädigung für die RSU. Das Arbeitsgericht sowie die zweite Instanz wiesen diese Klage ab, da sie diese Vergütung als Gratifikation betrachteten, auf die der Arbeitnehmer nur Anspruch hatte, wenn er zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Tranchen noch beschäftigt war. Die zweite Tranche war jedoch für den 2. September 2020 vorgesehen.
Das BGer wies zunächst darauf hin, dass bei der Vergütung zwischen den folgenden drei Fällen zu unterscheiden ist:
Anschliessend stellte es fest, dass ein Lohnbestandteil (Fall 1) vorliegt, wenn ein Betrag (auch wenn er als Bonus oder Gratifikation bezeichnet wird) festgelegt oder objektiv festlegbar ist. Das bedeutet, wenn ein Betrag vertraglich grundsätzlich zugesagt wurde und seine Höhe auf der Grundlage vorab festgelegter objektiver Kriterien wie Gewinn, Umsatz oder einer Beteiligung am Betriebsergebnis, und nicht von der Beurteilung des Arbeitgebers abhängt, dann ist er als (variabler) Bestandteil des Lohns anzusehen, den der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer schuldet bzw. zu zahlen hat.
Dahingegen liegt eine Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR vor (Fall 2 und 3), wenn der Betrag unbestimmt oder objektiv unbestimmbar ist und dessen Höhe sowie Auszahlung im Ermessen des Arbeitgebers liegt. Der Arbeitgeber kann die Zahlung der Gratifikation an die Erfüllung bestimmter Bedingungen knüpfen. So ist es zulässig, zu verlangen, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Gratifikation tatsächlich im Unternehmen beschäftigt ist, oder dem Arbeitnehmer, der zum Zeitpunkt des Anlasses für die Gratifikation noch im Dienst des Arbeitgebers steht, dessen Arbeitsverhältnis jedoch bereits gekündigt wurde, keine oder nur eine reduzierte Gratifikation zu gewähren.
Die Zahlung des Lohns darf hingegen nicht von der Anwesenheit des Arbeitnehmers im Unternehmen oder von der Nichtkündigung seines Vertrags abhängig gemacht werden; dies widerspricht dem eigentlichen Zweck des Lohns. Eine solche Klausel ist unzulässig und nichtig, soweit sie sich auf einen Bestandteil des Lohns bezieht.
Auf der Grundlage der zuvor genannten Elemente kam das BGer zu dem Schluss, dass die Entschädigung für die RSU nicht als Gratifikation qualifiziert werden könne. Denn ihr Betrag war im Voraus festgelegt worden, ebenso wie die Termine, an denen jede Tranche ausgezahlt werden sollte: Die Entschädigung wurde grundsätzlich zu festen Terminen zugesagt und hing nicht vom freien Willen bzw. Ermessen des Arbeitgebers ab.
Folglich konnte gemäss BGer der Anspruch auf die Entschädigung auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer sich zu einem bestimmten Zeitpunkt noch in einem Arbeitsverhältnis befand (nichtige Bedingung).
Unter Berücksichtigung der Vertragsdauer (vom 2. September 2019 bis zum 31. August 2020) als Referenzzeitraum sowie des für die Zahlung der zweiten Tranche vorgesehenen Datums (2. September 2020) sprach das BGer dem Arbeitnehmer CHF 232'695.50 zu (da 2020 ein Schaltjahr war: 365/366 von CHF 233'333.00).
Um zu vermeiden, dass ein Betrag, den der Arbeitgeber als Gratifikation versteht, letztendlich als Lohn bzw. Lohnbestandteil qualifiziert wird, sollten die Kriterien für dessen Gewährung nicht zu genau festgelegt werden. Denn gemäss den vom BGer aufgestellten Grundsätzen gilt nicht nur ein zum Voraus festgelegter, sondern auch ein «objektiv bestimmbarer» Betrag als Lohn.
Wenn der Arbeitgeber nicht nur hinsichtlich der Höhe, sondern auch hinsichtlich der Gewährung der Gratifikation (sogenannte freiwillige oder ermessensabhängige Gratifikation) völlig frei bleiben möchte, ist es am besten, diese in keinem Vertragsdokument zu erwähnen. Auch sollte bei jeder Auszahlung ausdrücklich auf den freiwilligen Charakter hingewiesen werden, und idealerweise sollte nicht jedes Jahr der gleiche Betrag gewährt werden.
Wenn der Arbeitgeber die Anstellungsbedingungen attraktiv gestalten und darin das Prinzip einer Gratifikation erwähnen möchte, deren Gewährung jedoch an die «Nichtkündigung des Vertrags» geknüpft ist, hat er eine Formulierung zu wählen, die keinen Zweifel an seinem Ermessensspielraum bei der Festlegung der Höhe lässt, so beispielsweise: «Eine Gratifikation in Höhe von maximal einem Monatslohnwird mit dem Dezemberlohn ausbezahlt. Der Arbeitgeber legt die Höhe der Gratifikation nach freiem Ermessen fest, wobei er insbesondere den Geschäftsgang, die individuellen Ziele des Arbeitnehmers, sein Verhalten und seine Abwesenheiten berücksichtigt. Bei Kündigung des Arbeitsvertrags vor Jahresende wird keine Gratifikation gezahlt.»
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